(Fortsetzung meines Briefes vom 23.8.1994.)
(Prof. C.: ) Anhand des schon gut dokumentierten Bildes von der Entwicklung der heutigen Menschheit (etwa im Hinblick auf Skelettmerkmale, Gehirnvolumina oder intellektuelle Leistungen, wie sie sich etwa im Werkzeuggebrauch wiederspiegeln) lässt sich überzeugend darstellen, wie kleine quantitative Veränderungen letztendlich zu unglaublichen qualitativen Fortschritten führen können, ohne dass man deshalb spezifische intelligente Schöpfungsakte postulieren müsste. "
(W.-E.L.:) Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass auf keinem anderen Gebiet der Naturwissenschaft mit solch geringen Befunden und Evidenzen ausführlichere Kontroversen ausgetragen werden als auf dem Gebiet der Paläoanthropologie (vgl. zu dieser Aussage z. B. Roger Lewins Buch Bones of Contention - Controversies in the Search for Human Origins; Simon and Schuster 1987 und Pelican Books 1989). Tatsächlich hängt - spätestens seit dem Fall des Ramapithecus - der ganze postulierte menschliche Stammbaum in der Luft (dabei ist hinzuzufügen, dass es sowieso noch nie eine faktisch belegte und begründete durchgehende Abstammungslinie des Menschen aus dem Tierreich gegeben hat - siehe folgende Abbildung).
Zu Ramapithecus und Australopithecus einige Daten nach Junker und Scherer 1992, pp. 211 -219 (Entstehung und Geschichte der Lebewesen; Gießen, Weyel Verlag; zahlreiche weitere Details zu Ramapithecus bei S. Hartwig-Scherer: Ramapithecus -Vorfahr des Menschen? Berlin 1989):
N.: Wiedergabe von Text und Bildern mit freundlicher Genehmigung von Herrn Prof. Scherer. Da ich in diesem Anhang einen möglichst genauen Einblick in die Diskussion von 1994 mit Herrn C. und D. wiedergeben möchte, bin ich hier bei der 1992er Auflage geblieben, denn das waren die Daten, die ich damals zitiert hatte. Ich möchte es jedoch in diesem Zusammenhang nicht versäumen, auf die inzwischen überarbeitete Auflage des Lehrbuchs von 1998 mit meinen besten Empfehlungen hinzuweisen; siehe
Rezension.htm ):(N.: Die Originalvorlagen sind in der Text- und Bildwiedergabe qualitativ wesentlich besser - sauberer Druck und klare Bildgestaltung - als ich sie in dieser Internetversion reproduzieren kann.)
"9.2 Ramapithecus -ein naher Verwandter des Orang-Utan
Anfang unseres Jahrhunderts fand man in Indien Kieferbruchstücke, denen zuerst keine große Bedeutung für die Evolution des Menschen beigemessen wurde. Erst in den 60er Jahren wurden sie zusammen mit anderen Funden aus dem Miozän zu der Art Ramapithecus brevirostris ("kurzschnäbliger Ramapithecus") in die direkte Vorfahrenreihe des Menschen gestellt. Als menschenähnliche Merkmale wertete man eine vermutete "Kurzschnäuzigkeit", Molaren (Backenzähne) mit niedrigen Zahnhöckern und dickem Zahnschmelz, kleine Eckzähne sowie als wichtigstes "menschliches" Merkmal einen parabolischen Zahnbogen (Abb. 9.4a). Man datierte die verschiedenen Funde von Ramapithecus zwischen 8 und 14 Millionen Jahren und damit das Alter der menschlichen Abstammungslinie auf älter als 15 Millionen Jahre (Abb. 9.3). Die öffentliche Meinung war schnell überzeugt, und so trat Ramapithecus seinen Siegeszug als ältester Hominide an. Zwar meldeten einige Wissenschaftler besonders hinsichtlich der Zahnbogenrekonstruktion schon früh Bedenken an, doch fanden sie wenig Beachtung.
Ungefähr zur gleichen Zeit wurde aufgrund biochemischer und molekularbiologischer Methoden (vgl. Abschnitt 6.3) festgestellt, dass die Afrikanischen Menschenaffen (Gorilla und Schimpanse) biochemisch und genetisch dem Menschen wesentlich ähnlicher sind als der Orang-Utan und dass diese sich nicht schon vor 15, sondern vor erst 3 bis 5 Millionen Jahren von der menschlichen Linie abgespalten hätten. Das aufgrund von Ramapithecus angenommene hohe geologische Alter der menschlichen Linie veranlasste die Paläanthropologen jedoch, die molekularbiologischen Ergebnisse vorerst zu ignorieren.
Abb. 19a-19h
Auf Wunsch bin ich gern bereit, Ihnen weitere Kopien zu verschiedenen Fragen anzufertigen.