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3. NEODARWINISMUS UND TRANSPOSONS

 

Ich möchte jetzt das Thema der Seiten 138 - 143 fortführen und einleitend auf einige Punkte hinweisen.

Warum, fragt man sich, werden in den letzten Jahren zunehmend hohe evolutionistische Erwartungen mit den Transposons verbunden, wenn nach neodarwinistischer Auffassung die Entstehung der Organismenwelt mit den bekannten Punkt-, Chromosomen- und Genommutationen schon so vollständig erklärt war, dass selbst die von Bridges 1918 konzipierte und von Ohno 1970 erweiterte Gen-Duplikationstheorie bei den Befürwortern der Synthetischen Evolutionstheorie zunächst wenig Begeisterung auslöste? (Das Genduplikat ist nach Ohno u.a. der Selektion zunächst entzogen.)

Mayr* [*Fußnote in der Originalarbeit: Den Autor zitieren wir jetzt wieder häufiger, weil er, in den Worten Sir Andrew Huxleys, "mehr zu unserem Verständnis des Artbegriffs und der Mechanismen der Artbildung beigetragen hat als irgendein anderer lebender Biologe. ...His work in systematics and in evolution of species forms one of the cornerstones of the synthetic theory of evolution developed in the 1930s. His contributions to evolutionary theory through these concepts are manyfold and broad, and have been fundamental of the theory." (Worte zur Verleihung der Darwinmedallie an Mayr 1984).] schreibt 1984:

In den vierziger Jahren wurden alle Anti-Darwinistischen Theorien (Saltation, Neo-Lamarckismus, autogenetische Theorie usw.) so endgültig widerlegt, daß die Genetiker, Systematiker und Paläontologen sich im großen und ganzen auf eine Evolutionsformel einigen konnten, die von Julian Huxley als die evolutionary synthesis bezeichnet wurde.

Zwar gäbe es, wie Mayr in dem Artikel dreimal betont, innerhalb des Darwinismus noch einige Differenzen und die Synthetische Theorie war doch nicht ganz so einheitlich, wie man zunächst dachte etc., es gibt sogar noch "viele offene Probleme bei der Artbildung und bei der Evolution in der zeitlichen Dimension (Makroevolution)", aber Darwin hat in seinem Entwurf "mit beinahe schlafwandlerischer Sicherheit bei den verschiedenen Alternativen fast immer die richtige gewählt":

Das Ausfüllen der riesigen Lücken im biologischen Wissen zwischen 1859 und 1984 hat natürlich zu vielen Fortschritten über Darwin hinausgeführt, aber - mirabile dictu - es hat die Fundamente so gut wie unberührt gelassen.

- Worauf der oben zitierte Satz folgt.

Der Widerspruch zwischen der 125-jährigen ununterbrochenen Bestätigung der Darwinschen Fundamente aus allen Zweigen der Biologie sowie der endgültigen Widerlegung aller antidarwinistischen Theorien einerseits und den vielen offenen Problemen bei der Artbildung und Makroevolution andererseits, gehört wohl zur Methode: Man suggeriert die grundsätzliche Richtigkeit des Neodarwinismus bei Wissenschaftlern und in der Öffentlichkeit, Unterschiede in den Auffassungen gibt es nur im Rahmen der Theorie, in dem auch die anfangs riesigen Lücken bis heute aufgefüllt worden sind, so dass man nur für die noch offenen Probleme zu extrapolieren braucht: Alles bleibt im Rahmen der Darwinschen Fundamente. Arbeitet jemand die "vielen offenen Probleme" präzis heraus, die die Schwächen der Synthetischen Theorie aufzeigen, kann man immer sagen: "Da laufen Sie offene Türen ein; darauf haben wir selbst doch schon immer hingewiesen!" Ein schönes Beispiel für diese Methode liefert uns Ridley 1985, pp. 124/125 bei der Besprechung von vier evolutionskritischen Arbeiten (Denton 1985, Hayward 1985, Pitman 1985, Reid 1985):

Writing a review of some long since forgotten anti-Darwinian work in this journal [Nature] 95 years ago, Raphael Meldola remarked that "it is hardly necessary to say that many of the most weighty objections have been culled from the writings of Darwin himself". Toutes ces la meme chose. Another four books published during 1985 now confirm that Mr Darwin's critics are as active, and their procedures the same as ever. I do not think it is worth replying to them here. Readers of Nature can scarcely need to put right on these old issues; and, anyhow, Darwin himself and many others have dealt with them at the length they deserve.

Da nun alles schon so klar ist, dass die Kritiker seit rund 100 Jahren nur noch dieselben Punkte zitieren können, die Darwin und andere bereits ausführlich und so zufriedenstellend behandelt haben, dass man nicht einmal mehr darauf einzugehen braucht, wiederhole ich noch einmal die Frage: Wozu brauchen wir dann noch Transposons für den Ursprung der Arten?

Lorenzen schreibt 1985, p. 19 zu Schmidts im gleichen Jahr erschienenen Buch GRUNDLAGEN DER KYBERNETISCHEN EVOLUTION:

Noch vor einigen Jahren fragte kaum ein Mensch, ob wir eine neue Evolutionstheorie brauchen oder nicht. Wozu auch, denn die Darwinsche Evolutionstheorie (also Abstammungs- plus Selektionstheorie), wie wir sie heute kennen, hat sich hervorragend bewährt und steht in keinem Widerspruch zu irgendeiner biologischen Erkenntnis.

Nach Aufführung berechtigter und unberechtigter Punkte zu Schmidts Buch sowie dem Hinweis, dass es in letzter Zeit nicht an evolutionskritischen Schriften mangele, dass jedoch regelmäßig die Selektionstheorie missverstanden werde und 'die ganzen Angriffe sich dann auf das jeweils entstandene Zerrbild richten', schreibt Lorenzen:

Die gescheiterten Widerlegungsversuche zeigen uns deutlich, daß wir keine neue Evolutionstheorie brauchen. Was wir brauchen, ist vor allem ein vertieftes Verständnis der vorhandenen Evolutionstheorie sowie deren Prüfung an den vielen speziellen Evolutionsproblemen, die uns die Millionen von bekannten Spezies und die unüberschaubar vielen biologischen Erscheinungen aufgeben.

Da die hervorragend bewährte, in keinem Widerspruch zu irgendeiner Erkenntnis stehende Evolutionstheorie die für die Entstehung der Organismenwelt notwendige Information aus den Mutationen ableitet (und damit sind vor allem die Punktmutationen gemeint), kann man nur schließen, dass nach dieser Auffassung Transposons keine bedeutende Rolle bei diesen Fragen gespielt haben können.

Zur Kritik Schmidts und anderer Autoren, dass nach allen Untersuchungen und Überlegungen die uns bekannten Zufallsmutationen für die Entstehung synorganisierter neuer Strukturen und Organe nicht ausreichen, schreibt der Autor:

Immer wieder werden "Neodarwinismus" (= Selektionstheorie) und "Mutationismus" für gleichwertige Ausdrücke gehalten, weil gemäß der Selektionstheorie neue Arten und Lebewesen mit neuen Bauplänen allein durch Mutationen entstünden, während durch die Selektion lediglich nachteilige Mutationen wieder ausgemerzt würden. Da Mutationen zufällige Fehler bei der Weitergabe von Erbinformationen an Tochterzellen sind, bezeichnen Schmidt und andere Autoren die Selektionstheorie auch als "Zufallsdogma" oder "Zufallstheorie".

Gewiß, ohne Mutationen gäbe es kaum erbliche Unterschiede zwischen den Lebewesen. Dennoch ist die Annahme falsch, neue Arten entstünden gemäß der Selektionstheorie allein durch Mutationen. Falsch ist selbst die Formel von "Mutationen und Selektion", weil Mutationen nur eine Quelle der Variation sind; weitere Quellen sind die Neukombination des Erbgutes bei der geschlechtlichen Fortpflanzung sowie nicht-genetische Variationen. Die Formel der Selektionstheorie muß daher "Variation und Selektion" heißen. (Kursiv vom Verfasser.)

Unklar ist, wie nicht-genetische Variationen zum Ursprung der Lebensformen beitragen sollen. Alle Unterschiede zwischen den Genen, die erst die Neukombination des Erbgutes bei der geschlechtlichen Fortpflanzung möglich machen, sind nach bisheriger Auffassung der Synthetischen Evolutionstheorie ausschließlich auf Mutationen zurückzuführen, so dass letzten Endes alle für die Entstehung der Arten und höheren systematischen Kategorien notwendige Variation auf Mutationen zurückgeführt wird. Daher heben zahlreiche neodarwinistische Autoren auch diesen Punkt wie folgt hervor:

Ayala und Kiger 1980, p. 549 (ebenso 1984, p. 677):

New mutations are the ultimate source of the genetic variation upon which biological evolution depends.

Dobzhansky 1957, p. 385:

The process of mutation is the only known source of the new materials of genetic variability, and hence of evolution.

Mayr 1970, p. 102:

It must not be forgotten that mutation is the ultimate source of all genetic variation found in natural populations and the only new material available for natural selection to work on.

Simpson 1969, p. 143:

Mutations are, indeed, the ultimate sources of all new genetic materials, which then are endlessly shuffled in the processes of sexual reproduction. In the final analysis all evolutionary change depends on mutations...

(Vgl. auch die Zitate auf der Seite 333.)

Monod behauptet 1971, pp. 141/142 nach Aufführung verschiedener Mutationen:

Wir sagen, diese Änderungen seien akzidentell, sie fänden zufällig statt. Und da sie die einzige mögliche Ursache von Änderungen des genetischen Textes darstellen, der seinerseits der einzige Verwahrer der Erbstrukturen des Organismus ist, so folgt daraus mit Notwendigkeit, daß einzig und allein der Zufall jeglicher Neuerung, jeglicher Schöpfung in der belebten Natur zugrunde liegt. Der reine Zufall, nichts als der Zufall, die absolute, blinde Freiheit als Grundlage des wunderbaren Gebäudes der Evolution - diese zentrale Grundlage der modernen Biologie ist heute nicht mehr nur eine unter anderen möglichen oder wenigstens denkbaren Hypothesen; sie ist die einzig vorstellbare, da sie allein sich mit den Beobachtungs- und Erfahrungstatsachen deckt. Und die Annahme (oder die Hoffnung), daß wir unsere Vorstellungen in diesem Punkt revidieren müßten oder auch nur könnten, ist durch nichts gerechtfertigt.

Da nach neodarwinistischer Auffassung letztlich alle Variation auf Mutationen zurückzuführen ist, handelt es sich bei dem zweiten Abschnitt des Zitats von Lorenzen (vorige Seite) um eine wenig inhaltsreiche Argumentation, die ihren Höhepunkt mit dem Hinweis auf die nicht-genetischen Variationen erreicht. In dieser Buchbesprechung findet sich eine ganze Serie ähnlicher fragwürdiger Aussagen, denen man eine Arbeit für sich widmen könnte (leider ist an dieser Stelle dafür kein Platz). Wir wollen uns hier auf die für das Transposon-Thema relevanten Aussagen beschränken. Alle bisherigen Zitate verstärken die anfangs gestellte Frage, wozu wir überhaupt Transposons in der Evolution brauchen, wenn die neodarwinistischen Aussagen von der vollständigen Erklärung aller Lebensformen durch die bisher bekannten Mutationserscheinungen zutreffen würde. Wie sieht es jedoch mit den von Mayr erwähnten offenen Problemen aus? Zitieren wir noch einmal Lorenzen zu diesem wichtigen Punkt:

Immer wieder wird argumentiert, es sei völlig unvorstellbar, wie sich das Wirbeltierauge oder andere komplizierte Organe in vielen kleinen Schritten herausgebildet haben könnten. Kenntnislücken bilden jedoch niemals einen logischen Widerspruch zu einer Theorie.

Diese Aussage bestätigt meine über 20jährige Diskussions-Erfahrung mit Befürwortern der Synthetischen Evolutionstheorie: Alle Schwierigkeiten werden als Kenntnislücken abgetan und diese Kenntnislücken werden im Rahmen der Darwinschen Fundamente auch in Zukunft ausgefüllt werden. Eine andere Möglichkeit gibt es für den dogmatischen Darwinisten nicht.

Mayr schrieb 1975, p. 171 zu den offenen Fragen:

Ich bin überzeugt, daß nicht ein einziges von diesen Problemen auch nur die geringsten Schwierigkeiten für die Grundsätze der Darwinschen Theorie bietet.

Da die Tranposons unter der Rubrik der autogenetischen Erscheinungen einzuordnen sind und nach Mayr die autogenetische Theorie schon in den 40er Jahren "endgültig widerlegt" worden ist, kann nach neodarwinistischen Prämissen auch in Zukunft nicht mit einer besonderen Rolle der Transposons für die Entstehung der Lebensformen gerechnet werden.

Nach neodarwinistischer Auffassung beherrscht die Selektion die postulierte kontinuierliche Entwicklung vollständig: Die Selektion entwickelt in kleinen Schritten die optimal funktionsfähigen Gene, bestimmt darüber, ob ein Gen dominant oder rezessiv ist (vgl. pp. 369/370), kanalisiert die Rekombination, entscheidet über Gedeih und Verderb von Populationen und Subspezies in Relation zu ihren nächsten Verwandten, entwickelt prä- und postzygotische Isolationsmechanismen, beherrscht alle Organbildungen und bestimmt die Entwicklung aller Lebensformen.

Heberer zitiert 1966, p. VIII de Beer mit den Worten: "Der Beweis von Darwins Theorie durch natürliche Selektion ist vollständig" - und kommentiert: "Hier könnten nur Ignoranz oder metaphysische Gebundenheit widersprechen." Lorenz schreibt 1975, p. 24: "Wir stehen in ehrfürchtigem Staunen vor den Bestätigungen, die Darwins geniale Annahmen immer wieder von ganz unerwarteter Seite her erfahren haben."

Auf meine Frage nach einer intelligenten Ursache für die ungeheuer komplexen Strukturen der Organismenwelt antwortete mir Mayr (am 16. März 1981 in Tübingen): "Die Selektion ist die Intelligenz".

Transposons mit horizontalem Gentransfer entziehen sich jedoch der Selektion auf mehreren Ebenen: 1. auf der DNA-Ebene (die Sequenzen sind bereits vorhanden und werden nicht von Transfer zu Transfer durch die hypothetische Selektion neu aufgebaut. - Zur Frage, ob Gene überhaupt durch Selektion aufgebaut werden können, vgl. pp. 338, 426). 2. Die Transposonaktivität unterliegt sowohl innerhalb eines Genoms als auch bei horizontalem Transfer eigenen Gesetzen; in beiden Fällen kann die Selektion erst nach den erfolgten Ereignissen wirksam werden. Auch die Hypothese, dass transposontragende Linien besonders anpassungsfähig seien und deshalb selektiert werden, würde - falls sie zutrifft - die Existenz und den Transfermodus springender Gene nicht erklären, denn sie mussten schon 'springen' können, bevor sie selektiert werden konnten (s.u.). 3. Auf der populationsgenetischen Ebene innerhalb einer Art (Fitnesserniedrigung ganzer Populationen (s.u.). 4. Auf der Ebene des Gentransfers zwischen den Arten: die Selektion kann nicht bestimmen, welches Transposon mit welchem Gen zu welcher Art 'springt'.

Da aber Huxley schon 1954, p. 12 (zitiert nach Schmidt 1985) erklärte:

Auf dem Gebiet der Evolution hat die Genetik alle wesentlichen Fragen beantwortet, und die Evolutionsbiologen können sich nun anderen Problemen zuwenden.

- und das Thema der autogenetischen Theorie schon in der 40er Jahren endgültig zu den Akten gelegt wurde, können nach allen neodarwinistischen Behauptungen, Prämissen und Erwartungen Transposons nur noch eine untergeordnete Rolle spielen.

Und was ich an dieser Stelle hervorheben möchte, ist folgendes: Die sich steigernden evolutionistischen Erwartungen zum Transposon-Thema bedeuten zugleich die zunehmende Relativierung des neodarwinistischen Allerklärungsanspruchs und Abkehr einer ganzen Reihe führender Biologen von der Verabsolutierung dreier Eckpfeiler der bisherigen Theorie:

1. Die (Punkt- u.a.) Mutationen werden nicht mehr als einzige und letzte Quelle aller neuen genetischen Information angesehen. (Auch bei Duplikationen sollten die Punktmutationen zu neuer genetischer Information führen.)

2. Die Selektion spielt auf den vier zitierten Ebenen nicht mehr die alles beherrschende Rolle, die ihr vom Neodarwinismus zugeschrieben worden war. Sie wird vielmehr durch die genetische Eigengesetzlichkeit der Transposons relativiert.

3. Die postulierte Entwicklung braucht nicht mehr kontinuierlich zu verlaufen, sondern kurze Phasen gesteigerter Aktivität unter wechselnden Umweltbedingungen folgen auf langwährende Phasen der Stagnation unter konstanten Bedingungen und vice versa.

Dem Punktualismus dürfte diese Relativierung sehr gelegen kommen, zumal auch zunehmend Erkenntnisse der Neutralen Theorie beim Transposon-Thema integriert werden (Orgel und Crick 1980, Doolittle 1982, Finnegan et al. 1982, Ginzburg et al. 1984, Flavell 1985 u.v.a.).

Liegen die hier zitierten neueren Auffassungen zum Ursprung der Lebensformen noch alle innerhalb des Darwinismus, wie Mayr so nachdrücklich 1984 behauptet hat? Zu Georges Aufsatz DARWINISMUS: DER IRRTUM DES JAHRHUNDERTS schreibt Mayr z.B.:

Georges Aufsatz strotzt von Fehlern und Mißverständnissen. Aber was am schlimmsten ist, beide Autoren haben überhaupt nicht gemerkt, daß die jüngsten Kontroversen in den Vereinigten Staaten über Evolutionsprobleme innerhalb der Darwinschen Lehre stattfanden, nicht aber Angriffe gegen Darwin waren.

Schlimmer als alle unterstellten und zutreffenden Fehler und Missverständnisse, von denen der Aufsatz nur so strotzen soll, ist demnach die durch George und Ebel vorgenommene Deplazierung außerhalb des (neo-)darwinistischen Rahmens! Wenn es sich beim Punktualismus, Neutralismus und Transposon-postulierter Evolution nur um geringfügige Modifikation innerhalb des (Neo-)Darwinismus handelt, - warum spricht man dann überhaupt von "Kontroversen"?

Ist der Variabilitätsspielraum innerhalb der Synthetischen Evolutionstheorie so gering, dass jede kleine Modifikation gleich zu einer Kontroverse führen muss? Oder sind die Wissenschaftler so agressiv, dass jeder geringe Unterschied gleich zu einer Kontroverse hochgespielt wird? Über die kleinen Unterschiede innerhalb der Theorie könnte man doch großzügig hinwegsehen!

Warum polemisiert Simpson 1984 gegen Eldredge und Gould, wenn sich noch alles in den Rahmen des Darwinismus fügt? Oben (p. 321) hatten wir Simpsons Meinung zur Frage nach der Lückenhaftigkeit der Fossilüberlieferung zitiert. Sieht man sich Simpsons Auffassung im Detail an, so stellt man zum Beispiel für die Ordnungen der Säugetiere fest, dass er für eine einigermaßen kontinuierliche Entwicklung zwischen 10 bis 55 Millionen Jahren über die bekannten Erstfunde von Vertretern der verschiedenen Ordnungen hinaus extrapoliert (Simpson 1944/1946). Dafür setzen die Punktualisten heutzutage nur noch einige Jahrtausende an. Wenn ein Bankbeamter seinem Kunden auf die Frage nach dem Kontostand 55 000 000 DM angibt und der Beamte einen Schalter weiter nur noch 8 000 DM, dann wird der Betroffene das nicht mehr als Modifikation innerhalb seiner Theorie ansehen, sondern für einen fundamentalen und gravierenden Unterschied halten. Nur wenn jemand kein Interesse daran hat, dass die Öffentlichkeit davon Notiz nimmt und die Seriosität des Unternehmens bezweifelt, wird er derart gewaltige Unterschiede herunterspielen und als Modifikationen innerhalb des Systems bezeichnen.

Im Original klingt die Kontroverse um den Neutralismus in den Worten Ohtas z.B. wie folgt (1980, p. 120):

In 1968, Kimura (1968) proposed a neutral theory of molecular evolution which states that the majority of amino acid substitutions in evolution must be neutral with respect to natural selection and due to random genetic drift at reproduction. In the next year, King and Jukes (1969) advocated the theory from the more biochemical standpoint in the name of "non-Darwinian evolution". Since this hypothesis is totally against the neo-Darwinian view of evolution, it met strong criticisms and objections in the subsequent years (see Kimura 1979 for review). Although the original theory needed a few modifications (Ohta 1974), it has survived and much data have suggested its correctness.

Kimura 1980, p. 1:

I believe that the traditional paradigm of neo-Darwinism needs drastic revision.

Und im Jahre 1983 begründet der letztere Autor seine Auffassung wie folgt:

(p. 306:) Unlike the traditional synthetic theory (or the neo-Darwinian view) the neutral theory claims that the great majority of evolutionary mutant substitutions are not caused by positive Darwinian selection but by random fixation of selectively neutral or nearly neutral mutants.

(p. 307:) Against the neutral theory, strong opposition and criticism have been leveled by the 'selectionists' who adhere to the traditional synthetic theory. They consider evolutionary mutant substitutions must be adaptive and caused by positive Darwinian selection. They also regard protein polymorphism as adaptive and claim that it is maintained in the species by some form of balancing selection. In other words, they invoke two different kinds of selection to explain these two phenomena.

Soweit die Darstellung von Ohta und Kimura als unmittelbar von der Kontroverse zwischen Neutraler Theorie und Neodarwinismus Betroffene.

Es bleibt nun abzuwarten, wie sich die Situation im Falle der Transposons entwickeln wird.

Syvanen, der eher einer selektionistischen Deutung der springenden Gene zugetan ist, räumt immerhin noch deren neutrale oder schwach nachteilige Wirkung bei konstanter Umwelt ein, d.h., dass auch dieser Autor die neutrale Theorie in seinen Erwägungen zum Thema Transposons und Evolution miteinbezieht.

Er stellt 1984, pp. 272/273 u.a. fest:

The debate on the evolutionary role of mobile elements has been framed in terms of two competing hypothesis. The first hypothesis is that mobile elements are sustained by direct selection on genetic variability. If evolution is a race among evolving species, those that give rise to successful variants at the highest rate will be favored. This "selectionist" hypothesis maintains that transposable elements operate as a complex molecular apparatus driving the species progress, which in turn ensures the survival of the elements themselves. There are many known mutational mechanisms besides those provided by transposable elements; these include such changes as point mutations as well as the same kinds of genetic rearrangements that are induced by transposable elements.

...I believe that transposons have the potential to induce highly complex changes in a single event, changes that are not easily induced by other mechanisms.

The second hypothesis, which in some of its initial formulations could be called the null hypothesis, is that the transposable elements need not provide selective advantage to the hosts that bear them in order to account for their presence. This is popularly called the "selfish-gene" theory; the mobile element is essentially treated as a chromosomal parasite that has been selected by its own ability to maintain itself independent of selection acting on the organism.

...If a transposon has no selective value for individuals that bear it during periods of stasis..., but is only selected for during periods of change, then this self-perpetuating property may be required to ensure survival during the stasis periods.

...This means that the trait of genetic variability associated with transposable elements alternates between being highly selected and being neutral or even slightly detrimental at the organismic level.

Da sich die Perioden der Stasis nach der punktualistischen Theorie in der Regel über Millionen von Jahren erstrecken, während die Perioden der Veränderung geologisch kurze Zeiträume in der Größenordnung von 1000den von Jahren umfassen, könnten sich auch nach Syvanens Auffassung die Transposons die meiste Zeit als neutral oder schwach nachteilig für die betroffenen Linien auswirken. Der Selektionstheorie noch entgegenkommend berechnet, kommen auf 1 Jahr Selektionsvorteil 100 bis 1 000 Jahre (und mehr) für die neutrale bis schwach nachteilige Wirkung der springenden Gene.

McClintock betont (1984, p. 800) nach Aufführung mehrerer Beispiele (wie Muntiacus und Cyclops) die Bedeutung von Stress zur Auslösung von Genomänderungen:

...because they [die Beispiele] support the conclusion that stress, and the genome's reactions to it, may underlie many formations of new species.

Goldschmidt hätte sicher seine Freude an der Auffassung Syvanens und McClintocks, dass Transposons das Potential haben, hochkomplexe Veränderungen in einem einzigen Ereignis hervorzurufen, und zwar Veränderungen, die kaum durch andere Mechanismen induziert werden können.

Diese Auffassung, die von den meisten Transposongenetikern für möglich und vernünftig gehalten wird, steht im schärfsten Widerspruch zum (neo-)darwinistischen Kontinuitätsgedanken, - ein Punkt, den wir näher betrachten möchten.

 

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NACHTRÄGE ZU SEITE 440/441 UND 447 (MUTATION UND SELEKTION)

 

EIN PAAR ANMERKUNGEN ZUR BEHANDLUNG DES THEMAS "MUTATION UND SELEKTION" BEIM INTERNATIONALEN SYMPOSIUM "NEODARWINISTISCHE ODER KYBERNETISCHE EVOLUTION" (15. - 17. JULI 1987 IN HEIDELBERG)

Zusammenfassung: Im folgenden werden 63 führende Biologen (darunter 8 Nobelpreisträger) zitiert, die allesamt die Bedeutung der Mutationen für den Ursprung der Arten an die erste Stelle setzen. Die von mehreren Biologen auf dem Symposium heftig bestrittene zentrale Bedeutung der Mutationen für die Synthetische Evolutionstheorie bzw. deren Rückführung auf das (Haupt-)Begriffspaar Mutation und Selektion ist damit eindeutig dokumentiert und gilt bis auf den heutigen Tag. Die als Ursache der genetischen Variation von Symposiumsteilnehmern hauptsächlich zitierte Rekombination wird immer erst an zweiter Stelle genannt. Ich habe jedoch auch die neuesten Entdeckungen und Entwicklungen auf dem Gebiet der Genetik zur Erforschung der Variabilität aufgeführt, die für einige Forscher bereits eine Relativierung der bisherigen Auffassungen eingeleitet haben. Das Verdienst Schmidts ist es, durch seine systematische Kritik unter Aufführung von Tatsachenmaterial aus vielen Bereichen der Biologie einen wesentlichen Beitrag zur weiteren Relativierung der herrschenden Theorie geleistet zu haben - eine naturwissenschaftliche Alternative konnte er jedoch nicht zeigen.

Zur Frage nach Mutation und Selektion als Kerngedanken der Synthetischen Evolutionstheorie meldeten sich nach dem Vortrag von Herrn Professor Schmidt am 15.7. mehrere Diskussionsteilnehmer zu Wort und bestritten nachdrücklich, dass man die Theorie auf diese Hauptfaktoren zurückführen könne. So konnte man z.B. folgende Kommentare vernehmen (nur Initialen; mir liegt nichts daran, die Diskussionsteilnehmer persönlich anzugreifen. Die Zitate vom Symposium sind hier nach vom Symposiumsveranstalter genehmigten und bekannt gemachten Tonbandaufnahmen wiedergegeben.):

K.-P. S. (Prof., Direktor des Instituts für Evolutionsforschung der Universität B.):

"Der Popanz Mutation und Selektion, der ist seit 40 Jahren aus der Welt und wird von Herrn Schmidt nur noch mal bewusst aufgebaut, um gegen diesen Popanz zu schießen."

P. L. (Prof., ehemals MPI für V. Arbeitsgruppe W.) nach Hinweis auf seine Lehrer Lehmensick, Kühn, Koehler und Lorenz:

"Von keinem dieser Leute habe ich etwas gehört, das dem entspricht, was hier als Neodarwinismus dargestellt wurde."

Als einer der wenigen Vertreter der Synthetischen Evolutionstheorie hob er die Bedeutung sowohl der Mutation als auch der Rekombination hervor und betonte, dass keine "zeitlich unmittelbare Beziehung der Mutation auf den Setektionsvorgang" gegeben sei (brieflich).

W. M. (Prof., Direktor des Instituts Zoologie II der Universität H.):

"Ich kenne niemand, der wirklich behauptet, Mutation ist das Substrat für, das einzige Substrat für die Evolution, sondern...[genetische Veränderungen..."(Bei stilistischen Fragen beachte man bitte wohlwollend, dass dies Kommentare aus freier Rede sind.)] "Veränderungen des genetischen Programms sind es. Und da gibt es viele Möglichkeiten, wie man ein genetisches Programm ändert."

Auch M. betonte später die Rekombination.

Herr B. (Biologe aus Hamburg) wies auf die Lehrbücher der Evolutionsbiologie hin und behauptete:

"Da wird immer eindeutig darauf hingewiesen, dass der Beitrag der Mutationen zum evolutiven Prozess sehr wahrscheinlich nur ein ganz geringer ist und dass vielmehr die Rekombination einen viel entscheidenderen Beitrag liefert."

O. K . (Prof., Direktor des Zoologischen Instituts und Zoologischen Museums in H.) meinte zu diesem Punkt sogar, dass man mit der Betonung des 'simplen Mechanismus von Mutation und Selektion' die Diskussion "in die Phase der frühen Mendelisten zu Beginn unseres Jahrhunderts verlagert".

Die Frage zog sich durch das ganze Symposium und wurde immer wieder von Befürwortern der Synthetischen Evolutionstheorie in der zitierten Weise beantwortet, insbesondere auch in den Vorträgen von S. und M..

Ein neutraler Beobachter wie R. Wandtner von der FAZ zählte in seinem Beitrag vom 22.7.87 diesen Punkt zur "mitunter recht unfair geführten Diskussion", indem er feststellte:

"So kam von biologischer Seite der Einwand, die Synthetische Theorie stütze sich ohnehin längst nicht mehr vorrangig auf die treibende Kraft von Mutationen. Schlägt man aber etwa ein Buch von Ernst Mayr auf, der zu den führenden Vertretern der modernen Evolutionslehre zählt, kann man lesen, daß sich "alle Evolutionserscheinungen einzig auf der Grundlage von Mutation und Selektion erklären lassen" ("Evolution und die Vielfalt des Lebens", Springer-Verlag 1979)."

Ich selbst beschäftige mich intensiv mit diesem Problemkreis seit über 20 Jahren, und ich hatte die Bedeutung der Mutation für die Synthetische Evolutionstheorie ebenfalls anders als von S., M., K. und anderen behauptet in Erinnerung [vgl. p. 440]. Um mich über diesen speziellen Punkt noch einmal zu vergewissern, habe ich die einschlägige biologische Literatur in meiner Bibliothek durchgesehen. Das Resultat ist die folgende Dokumentation. Mit den Zitaten dokumentiere ich die zentrale Rolle, die alle diese Autoren dem Faktor Mutation für die Entstehung der Lebensformen zuweisen. Erst an zweiter Stelle zitieren die Autoren Rekombination, Selektion, Isolation etc. Um nicht endlos lange und ermüdende Zitate aufzuführen, habe ich mich auf die für unsere Thematik relevanten Aussagen beschränkt, die man in der Regel auch mit einem Blick erfassen kann. Der kritische Leser sei auf die Original-Arbeiten verwiesen.

(Die Autoren sprechen fast durchweg von Kleinmutationen; Hervorhebung des Wortes Mutation und Selektion etc. im Schriftbild immer von mir.)

 

DOKUMENTATION

 

Gustafsson 1986, p.76:

Mutation is a central principle of life. The world of organisms with their vast complexity could not have developed without continous mutation.

...If DNA bad been an unchangeable chemical substance, our earth would have been barren and as lifeless as the surface of the moon.

...All species are the ultimate complex results of mutations. And the effects of recombined mutated genes and chromosomes will be continuously be added.

Rahmann 1987, pp. 112 - 113:

Inzwischen weiß man, daß während der Reptikation der DNS gelegentlich Fehler bei der Basenübertragung auftreten, Mutationen, wobei die DNS z.B. an einer Stelle eine falsche Base trägt, was dazu führt, dass bei dem zugehörigen Protein an der entsprechenden Stelle eine falsche Aminosäure eingebaut wird. Dadurch faltet sich die Polypeptidkette etwas anders und das Protein weicht in seiner Funktion innerhalb des Organismus ab: Das Individuum hat veränderte, mutierte Eigenschaften, die sich zumeist so auswirken, daß sich negativ veränderte Formen nicht durchsetzen können und verschwinden, positiv veränderte hingegen die bisherigen Formen im Verlauf vieler Generationen allmählich verdrängen. Eine derartige natürliche Selektion der jeweils am besten angepaßten Formen wird damit zum Antriebsmotor für die Evolution von immer lebenstüchtigeren, höher organisierten Formen.

Siewing 1987, p. 158:

Im Unterschied zu Darwins Vorgängern konnte die Ende des 19 und anfangs des 20. Jahrhunderts aufblühende Vererbungsforschung die biologiscHen Mechanismen veritizieren, die im Sinne Darwins zur Arthildung führen: Mutationen und Rekombinationen liefern ein vielgestaltiges Ausgangsmaterial, an welchem die natürliche Selektion angreifen kann.

Flügel und Hüssner 1987, p. 282:

Voraussetzung für die Bildung neuer Arten sind Mutationen, die Veränderung von Genen.

Hasenfuss 1987, p. 339:

(Zur genetischen Basis der Selektionstheorie) : Zunächst ist hervorzuheben, daß in den Mutationen tatsächlich die oben geforderte ständige Quelle erblicher Varianten der Funktionsträger gegeben ist. (Worauf auf Kopierfehler, Mutationsrate, Richtungslosigkeit der Mutationen, Kleinmutationen etc. hingewiesen wird.)

p. 348: Der einzige Faktor, der den Genpool mit neuen Allelen versorgt und damit die Voraussetzung für Evolution schafft, ist der Faktor Mutation - auf dem Gennool lasted ein Mutationsdruck, der ständig neue Mutanten in den Genpool hineinpumpt.

Sperlich 1987, p. 376:

Zwei sehr wichtige Prozesse, die in natürlichen Populationen ablaufen, sind die Grundvoraussetzung für die Evolution: Die Mutation und die Selektion.

Die Mutation schafft ständig neues genetisches Material.

Kleinig und Sitte 1986, p. 197:

Während der Evolution ist es nur zu einer begrenzten Perfektionierung der Reparatursysteme gekommen - sonst würde jede Mutation verhindert, und die Evolution käme letzlich zum Stillstand.

Kull 1979, p. 217:

Neutrale Mutationen sind viele der Gleichsinn- und wahrscheinlich manche der Fehlsinn-Mutationen. Zu den tolerierbaren Mutationen gehören auch die vorteilhaften Mutationen. ohne die eine Evolution gar nicht eintreten könnte.

Gottschalk 1984, p. 253:

Kein Biologe wird daran zweifeln, daß die Vieltalt von Bauplänen verschiedener Organe letztlich auf Mutationsvorgänge zurückzuführen ist.

Dawkins 1986, p. 125:

Evolution by natural selection could not be faster than the mutation rate, for mutation is, ultimately, the only way in which new variation enters the species.

Crow 1987, p. 183:

The simplest and oldest hypothesis for molecular evolution is that it is a succession of substitutions of selectively favored mutations.

...it is the contrary to fact.

p. 184: Kimura argues that molecular evolution is mainly the random fixation of neutral, or possibly slightly deleterious mutations (Ohta 1973, Kimura 1983).

The process becomes mutation-driven rather than selection-driven. That a great deal of nucleotide and amine acid evolution is of this sort seems to me to be well established. The exact fraction remains to be determined.

Vogel und Angermann 1984, p. 491:

Die Synthetische Theorie baut auf dem Darwinschen Konzept auf, von dem sie Überproduktion, Mutation als Ursache der Variabilität und die Selektion übernimmt und durch weitere Evolutionsfaktoren ergänzt. ...folgende Parameter als Grundlage der Evolutionsprozesse...: Punkt-, Segment- und Ploidiemutationen, genet. Rekombination, natürliche Selektion und reproduktive Isolation.

p. 497: Mutationen, bes. Punktmutationen schaften neues genet. Material und verändern zwangsläufig die Genfrequenz bzw. Zusammensetzung des Genpools.

Ehrendorter 1978, p. 496:

...Veränderungen des Erbgutes: Wir bezeichnen sie ganz allgemein als Mutationen; sie sind die Grundlage jeder Evolution. (Details p. 481 und 496) (Bold war gesperrt vom Verfasser).

Alberts, Bray, Lewis, Raff, Roberts und Watson 1983, p. 106:

Very rarely, a mistake in base-pairing will lead to an improved gene. It may change a protein so that it becomes a "better'' enzyme or contributes to a more effective structure. In these rare cases, organisms carrying the mutation will have an advantage, and the mutated gene may eventually replace the original gene in most of the population through natural selection.

p. 771: Evolution depends to a large extent on mutations that alter existing genes to create in their place new alleles, or variants, of these genes. (Alleles: kursiv von den Verfassern).

Kornberg 1980. pp. 608/609:

Although the lesions and mutations produced by some agents can be predicted, in most instances the result is conditioned by the chemistry of the cell at the time the agent is acting and by a variety of replication and repair responses the cell may make to the injury. In rare instances, the lesion may so alter function as to provide selective advantage for evolution.

Günther 1984, p. 211:

In der Genetik sind keine anderen Möglichkeiten für erbliche Veränderungen bekannt als Rekombination und Mutation. Wir müssen daher annehmen, daß auch die Veränderungen der Organismen im Laufe der Evolution eine Folge von Mutationen waren.

Watson 1977, p. 20:

(Zum Thema ORIGIN OF GENETIC VARIABILITY THROUGH MUTATIONS:)

It now became possible to understand the hereditary variation that is found throughout the biological world and that forms the basis of the theory of evolution. (Worauf Hinweise auf die Vorteile einer geringen, aber bestimmten Mutationsrate folgen.)

Ayala 1977, p. 70:

Mutations are the ultimate source of genetic variation; they provide the raw material for evolutionary change.

Ayala und Kiger 1984, p. 677:

New mutations are the ultimate source of the genetic variation upon which biological evolution depends.

Dobzhansky 1957, p. 385:

The process of mutation is the only known source of the new materials of genetic variability, and hence of evolution.

Dobzhansky 1977, p. 129:

In a nutshell, the theory maintains that mutation and sexual recombination furnish the raw materials, that natural selection fashions from these materials genotypes and genepools; and that, in sexually reproducing forms, the arrays of adaptively coherent genotypes are protected from disintegration by reproductive isolating mechanisms.

Mayr 1970, p. 102:

It most not be forgotten that mutation is the ultimate source of all genetic variation found in natural populations and the only new material available for natural selection to work on.

Simpson 1969, p. 143:

Mutations are, indeed the ultimate source of all new genetic materials, which then are endlessly shuffled in the processes of sexual reproduction. In the final analysis all evolutionary change depends on mutations...

Monod 1971, pp. 141/142:

Wir sagen, diese Änderungen (die Mutationen) seien akzidentiell, sie fänden zufällig statt. Und da sie die einzige mögliche Ursache von Änderungen des genetischen Textes darstellen, der seinerseits der einzige Verwahrer der Erbstrukturen des Organismus ist, so folgt daraus mit Notwendigkeit, daß einzig und allein der Zufall jeglicher Neuerung, jeglicher Schöpfung in der belebten Natur zugrunde liegt. Der reine Zufall, nichts als der Zufall, die absolute, blinde Freiheit als Grundlage des wunderbaren Gebäudes der Evolution - diese zentrale Grundlage der modernen Biologie ist heute nicht mehr nur eine unter anderen möglichen oder wenigstens denkbaren Hypothesen; sie ist die einzig vorstellbare, da sie allein sich mit den Beobachtungs- und Erfahrungstatsachen deckt. Und die Annahme (oder die Hoffnung), daß wir unsere Vorstellungen in diesem Punkt revidieren müßten oder auch nur könnten, ist durch nichts gerechtfertigt.

Crick 1981, pp. 57/58:

...if one particular organism has acquired a mutation in one of its genes so that for one reason or another it can compete mere successfully and, on the average, leave more descendants, then it will increase its representation in the population and thus, necessarily, the other less-favored organisms will produce fewer descendants. If this process continues indefinitely, the less-favored types will eventually die out completely and the one with the more efficient gene will take ever completely. The important thing to notice is that by this simple process a rare chance event has become common.

The process need not happen only once. It can happen time after time, as chance throws up new favorable mutations. Moreover, improvement can be added to improvement until, given enough time, the process of evolution will produce an organism very finely tuned to its environment. To reach such a perfection of design it needs only mutations produced by chance. There appears to be no mechanism, certainly no common mechanism, to direct the change in the gene so that only favorable alterations are produced.

Moreover, one can argue that such a directed mechanism in the long run would be too rigid. When times get tough, true novelty is needed - novelty whose important feature cannot be preplanned - and for this we must rely on chance. Chance is the only source of true novelty

p. 59: As far as we know, there is no other mechanism which can be relied on to produce comparable results so efficiently.

Delbrück 1986, pp. 48/49 betont die Bedeutung der Mutationen folgendermaßen:

Until recent years, only morphological differences in species type could be examined. With the advent of modern biochemical techniques, however, it has become possible to examine differences in protein structure between organisms. This has opened up an entirely novel approach to the determination of the evolutionary relationships between different species. The principle of this approach is that the precise sequence of amino acids making up the (primary) structure of a given type of protein molecule is subject to change by gene mutations. As a result of such a mutation the amino acid normally present at one particular site of the protein is changed to another kind of amino acid. If the individual in which this gene mutation occured happened to be the founder of an incipient species in the speciation process, then all the members of that new species - as well as all the members of the species that developed from that species - would manifest that particular amino acid substitution in that particular protein. Hence the less closely two species are related (i.e., the more incipient species separate them from a common ancestor species), the more amino acid substitutions would be expected to be found on comparison of the amino acid sequence of a particular type of protein molecule.

Lorenz 1975, p. 25:

So mißtrauisch ich auch jeder Art von Erklärungs-Monismus gegenüber bin, muß ich doch bekennen: Je älter ich werde, desto mehr festigt sich in mir die Überzeugung. daß das gesamte stammesgeschichtliche Werden durch die beiden großen Konstrukteure des Artenwandels: Mutation und Selektion verursacht ist.

p. 30: Die Genetiker haben Hypothesen Darwins verifiziert, von denen man sich jetzt fragt, woher ihm dieses Wissen kam. Mutationen treten tatsächlich mit der zu fordernden Häufigkeit auf, die Selektion hat tatsächlich die von ihm behauptete Wirkung.

Eigen und Winkler 1978, p. 77:

Zufällig ist, in welcher Reihenfolge welche Mutationen erscheinen. Gesetzmäßig notwendig ist, daß Mutationen auftreten und daß darüber hinaus das "Wenn-Dann"-Prinzip der Selektion gilt. Diese Kombination von Gesetz und Zufall ist hinreichend, die zeitliche Vorzugsrichtung der Evolution zu erklären.

p. 144: Nun ist aber die Evolution des Lebens, auch in seinen frühen Stadien, das Resultat von Reproduktion, Mutation und Selektion.

p. 188: Allerdings... hat der Zufall im historischen Geschehen der Evolution seinen besonderen Stellenwert. Die Quelle der Veränderungen ist die Mutation. Sie geht jeweils aus einer vom Bewertungsmechanismus völlig unabhängigen Ereignisfolge hervor. (Das hat Monod in meinem Buch durch ein Gleichnis treffend dargestellt.)

Horowitz 1986, p. 12:

The ultimate source of genetic information, however, is chance mutations - random changes of individual nucleotides or sometimes larger rearrangements of DNA - screened by natural selection.

...The totality of the genetic information represented by any species is the product of a very long history of such steps. Thus the genes contain a record of mutational discoveries that extents to the remotest past.

p. 13: Life is synonymous with the possession of genetic properties. Any system with the capacity to mutate freely and to reproduce its mutations must almost inevitably evolve in directions that will ensure its preservation. Given sufficient time, the system will acquire the complexity, variety and purposefulness that we recognize as "alive". The designer whose hand is seen everywhere in the living world thus turns out to be the cumulative effects of natural selection acting on spontaneous mutations over long ages of time.

p. 14: The genetic view is now widely, if not universily accepted.

Sedlag und Weinert 1987, pp. 94, 95:

Evolutionsfaktoren (engl. evolutive factors): Faktoren, die die Evolution in Gang halten und in ihrer Richtung und Geschwindigkeit beeinflussen. Als wichtige E. werden genannt: Mutabilität, Rekombination, reproduktive Isolation, Selektion, Populatiensgröße (Populationswellen) und Zufall...(etc.)

Heberer, Henke, Rothe 1975, p. 5:

Darwin kannte...nicht die Kausalfaktoren der genetischen Variabilität, wie die sprunghaften Spontanveränderungen des Genotyps (Mutationen) sowie die Neukombination des Erbmaterials im Fortpflanzungsprozess (Rekombination). ...erst die Synthese der darwinistischen Evolutionstheorie und des genetischen Evolutionskonzeptes (Fisher, Haldane, Sewall-Wright u.a.), fußend auf den Ergebnissen der von DeVries begründeten Mutationsforschung, führte zu der am Anfang der modernen Biologie stehenden synthetischen Evolutionstheorie.

Kaplan 1972, p. 43:

Der Schlüsselprozess für die stammesgeschichtliche Evolution ist die Mutation. Diese Änderungen der Erbinformation liefern eine Vielfalt an unterschiedlichen Erbtypen, unter denen die natürliche Selektion diejenigen anreichert und schließlich allein bestehen läßt, welche im betreffenden Milieu am besten überleben und sich vermehren, d.h. am besten angepaßt ist.

p. 44: So treibt der "Motor" der Evolution, die Mutation, zusammen mit der Selektion die Evolution unablässig voran, nicht nur zur besseren Anpassung, sondern auch zu zunehmender Typenvielfalt (Stammbaumverzweigung) und Kompliziertheit (Organisationshöhe) der Organismen.

(Die neueren Auflagen der Arbeit habe ich noch nicht einsehen können.)

Kühn 1967, p. 371:

Da die verschiedensten morphologischen und physiologischen Merkmale durch Mutationen abgeändert werden, ist durch diese eine Abwandlung der Organisation nach den verschiedensten Richtungen möglich. Hiernach ist es mehr wahrscheinlich, daß durch die natürliche Auslese einzelner Mutationssprünge, durch Summation vieler kleiner Mutationsschritte und durch Kombination von Mutationen in verschiedenen Genen neue Arten gebildet werden, und die Entstehung vieler Mannigfaltigkeiten innerhalb der niederen systematischen Kategorien ist auf diese Weise erklärbar.

Kühn war jedoch dem Allerklärungsanspruch der Synthetischen Evolutionstheorie gegenüber kritisch eingestellt:

pp. 371/372: Wir wissen nicht, ob die Bauplanunterschiede zwischen den höheren systematischen Kategorien, Ordnungen, Klassen, Tierstämmen, an deren allmählicher Herausbildung wir nicht zweifeln, auch die Summierung von Mutationsschritten, durch "additive Typogenese" zustande gekommen sind. Die Vererbungsforschung bietet dafür keine Modelle. Die Neubildung komplizierter, feinangepaßter Strukturen, wie z.B. der Nesselkapseln, von hochdifferenzierten Sinnesorganen (Linsenkameraaugen, Komplexaugen, Gehörorganen), von elektrischen Organen, von wirksamen Zahnformen und Zahnanordnungen mit den entsprechenden Umänderungen an Muskulatur und Schädelbau setzt das Zusammenwirken zahlreicher Gene voraus. (Hinweis auf Pferdestammbaum).

Die Ausprägung eines gesamten neuen Leistungstypus, wie z.B. der Bienen-, Ameisen-, Termitenarbeiterinnen, einer Landform aus einer Wasserform, einem fliegenden Organismus, erfordert eine Zusammenpassung (Koadaption) der verschiedensten, im Grunde aller Organe des Körpers, einschließlich der nervösen Grundlagen der Reflexe und Automatismen, unter denen es so raffinierte Instinkthandlungen gibt wie die Orientierung und die Verständigungsweise der Honigbienen. Solche harmonische Neu- und Umkonstruktionen lassen sich durch die Häufung und Naturauslese gelegentlich auftretender Mutationen, wie wir sie bisher kennen, noch nicht befriedigend erklären.

(Vgl. auch Kahle 1984, Schmidt 1985, Lönnig 1987).

Kühn und Hess (Neubearbeitung von Hess) 1984, p. 299:

Mutationen der verschiedenen Art, Neukombinationen der Gene und die begünstigte Phänotypen auswählende Selektion. Darwins Prinzip (von 1858), sind die einzigen artumprägenden Vorgänge, deren Wirksamkeit wir kennen;... So ist die "Theorie der additiven Typogenese'' (Heberer) der einzige Versuch, mit den Mitteln, welche die Genetik anzubieten hat, die Evolution im ganzen zu erklären.

Stebbins 1980, p. 4:

Die moderne synthetische Theorie der Evolution berücksichtigt vier grundlegende Prozesse: Genmutation, Änderung in Struktur und Anzahl der Chromosomen, genetische Rekombination und natürliche Auslese.

p. 51: Eine Vergrößerung der Menge an genetischer Variabilität in einem Genpool wird hauptsächlich durch Mutationen (kursiv) erreicht (Gen- oder Punktmutationen und Chromosemenmutatienen).

Piechocki und Hagemann 1987, p. 46:

Spontane Mutationen sind zwar das unentbehrliche Rohmaterial der Evolution, doch können sie für den Organismus verheerende Folgen haben.

Kaudewitz 1983, p. 312 zum Thema Mutationen:

Die Unveränderlichkeit des Trägers genetischer Informationen ist keine absolute. Dieser Zusammenhang bildet die Grundvoraussetzung für die von einfachen Lebensformen dem molekularen Bereichs ausgegangene Evolution der Organismen.

Solche Erbänderungen werden als Mutationen bezeichnet.

Bresch und Hausmann 1972, p. 387:

Evolution wird ermöglicht durch Mutation, d.h. sprunghafte Veränderung dieser Information (in der DNA), und durch Rekombination und Selektion der geeigneten Zusammenstellung von Teilinformationen.

Rensch 1963, p. 119:

Die wichtigste Grundlage der Artumwandlung ist die Mutation, d.h. eine Abwandlung von Erbfaktoren infolge der Änderung von Genen, der Verlagerung von Chromosomenstücken, der Vermehrung des ganzen Chromomomensatzes und der Veränderung von bestimmten Strukturen im Plasma.

...Da die Mutation stetig am Werk ist und da ihr alle Merkmale aller Tier- und Pflanzenarten unterliegen, so stellt sie gewissermaßen den Motor der Evolution dar. Von Bedeutung ist auch die stete Neukombination von Genen durch die geschlechtliche Fortpflanzung. (Dann folgen Hinweise auf Gendrift und Selektion).

Rensch 1977, p. 115:

Da Mutationen, Neukombinationen von Genen, vielfältige Auslese und Isolationsvorgänge stetig auftreten, war die Entwicklung neuer Arten, die Aufspaltung in viele Stammesreihen und somit die Entstehung des ganzen Stammbaums der Organismen ein zwangsläufiger Vorgang, der in allen seinen Phasen naturgesetzlich bestimmt war.

p. 104 (zur Entstehung der Strukturen des Wirbeltieraugen):

Auch alle diese Vervollkommnungen konnten durch Mutation und natürliche Auslese zustande kommen.

Köhler 1968, p. 133:

Mutation, Vererbung, schärfste Auslese und geographische Isolation führen zur Entstehung neuer Rassen, darüber hinaus sicher nachweisbar zu guten Arten.

Mutationen sind nach heutigem Wissen stets ungerichtet. Daher gibt es jene direkte Anpassung, die die individuelle Entwicklung so zielstrebig macht, in der Stammesgeschichte nicht, sondern nur Auslesewirkung im erbmöglichen Rahmen, der sich durch Mutation und Kombination erweitert

p. 134: Die Bau- und Leistungspläne verwirklichen sich in eigenartigem Zusammenspiel kausaler Notwendigkeiten und statistisch gesetzmäßigen Zufallsgeschehens mit Notwendigkeit.

Heß 1983, p. 399, nach Hinweis auf die Theorien und Ergebnisse Darwins, Mendels und DeVries:

Damit waren die wesentlichen Faktoren zusammen, die zur Erklärung der Evolution benötigt wurden: Mutation, Rekombination und Selektion. Ihre Verknüpfung zu einer übergeordneten Hypothese war fällig. Heute ist aus der Hypothese, aus der Vermutung. eine feststehende wissenschaftliche Erkenntnis, eine Theorie geworden: die Synthetische Theorie der Evolution.

Osche 1979, p. 41:

(Zum Thema Evolutionsfaktoren in natürlichen Populationen im Gegensatz zu idealen Hardy-Weinberg-Populationen):

1. Mutationen treten auf. Sie liefern das "Rohmaterial" für die Evolution und stellen daher einen basalen Evolutionstaktor dar. (Worauf als weitere Punkte die Größe der Populationen, die Wirkung des Zufalls in solchen, die Gendrift, die Frage der Panmixie erwähnt werden).

Erben 1975, p. 178:

Mutation und Rekombination liefern der Selektion das "Angebot an Rohmaterial" zu. (Es folgen weitere Ausführungen zur Selektion, Panmixie, Gendrift etc.)

Stanley 1986, p. 145:

It is now understood that genes are, in fact, chemical structures that can undergo chemical changes, and these changes, or mutations, provide much of the variability upon which natural selection operates.

p. 147: It is widely believed that most speciation events involve the geographic isolation of one population from the remaining population of the parent species. This isolated population then follows an evolutionary course that causes it to diverge from the parent species in form and way of life - a divergence that may result from such phenomena as the occurence of unique mutation and the guidance of natural selection by unusual environmental conditions. (Beispiel Galapagos-Finken).

 

In populärwissenschaftlicher Literatur klingt das anhand einiger Beispiele demonstriert folgendermaßen:

 

Attenborough 1979. p. 19:

Die Fähigkeit der DNS, sich zu reduplizieren, ist eine Folge ihrer einzigartigen Struktur.

...Gelegentlich kann ein solcher Verdoppelungsvorgang auch fehlgehen. Der Fehler kann an einem einzigen Punkt erfolgen, oder aber ein Abschnitt des DNS-Moleküls kann nach einem Bruch an einer falschen Stelle wieder eingebaut werden. Die Kopie ist dann fehlerhaft, und die Eiweiße, die sie erzeugt, können völlig verschieden sein. Als dies bei den ersten Organismen auf der Erde geschah, begann die Evolution, denn derartige Fehler bei der Reduplikation sind der Ausgangspunkt für Abweichungen, aus denen die natürliche Auslese entwicklungsgeschichtliche Veränderungen schaffen kann.

Grünewald 1975, p. 93:

...ein Lebewesen, dem eine neue Eigenschaft irgendeinen Vorteil gegenüber seinen Artgenossen bietet, hat die größere Chance, im Kampf ums Dasein zu überleben und sich zu vermehren. Woher aber bekommt ein Lebewesen eine neue Eigenschaft? Die Antwort lautet: durch Zufall. Oder in der spezifischen Ausdrucksweise der Biologie: durch Mutation.

p. 94: Die morphologische Evolution hat also eine molekulare Evolution zur Voraussetzung, daß heißt eine chemische Veränderung der Erbsubstanz.

Schramm 1975, p. 235:

Mutationen wirken als Motor der Evolution.

Krause 1986, p. 17, nach Hinweis auf das Alter der Erde und des Lebens:

In diesen gewaltigen Zeiträumen entstanden durch fortgesetzt auftretende Mutationen und nachfolgende Selektion im Zusammenwirken mit den übrigen Evolutionsfaktoren die zahllosen wunderbaren Strukturen der Pflanzen- und Tierwelt bis zum äußersten ontimierte Gerüste, Gewebe, Stoffwechselreaktionsketten, Mechanismen, Informationsaufnahme- und Verarbeitungsorgane. Wir finden Regelkreise äußerster Stabilität und Variabilität, Informationsspeicher verblüffender Leistungsfähigkeit und biologische Sensoren, die auf ein Lichtquand oder ein Fremdmolekül reagieren. (etc.)

 

Neuere Lexika und Enzyklopädien betonen ebenfalls die zentrale Rolle der Mutationen:

 

Meyers Grosses Universallexikon, Bd. 3 (1981) zum Thema Deszendenztheorie:

Nach der D. vollzog sich in langen Zeiträumen ein Artenwandel, wobei u.a. Mutation, Rekombination, die natürliche Auslese und die Isolation als Evolutionsfaktoren wirksam waren.

(Ähnlich Bd. 12, p. 610) (1984) zum Thema Selektionstheorie).

The New Encyclopaedia Britannica 1982, Macropaedia, Bd. 12, p. 754:

Mutations in the modern conception, far from always having striking effects, are responsible for the slight changes that play a major role in evolution.

p. 756: Significance of mutation. Natural selection has used mutations to built well-integrated organisms. (C. Au)

Bd. 14, p. 383: Any group of organisms, if at all successful, produces an array of mutant types, which are tested by natural selection. The majority prove of no value in adapting the group to its shifting conditions of life, and so they tend to disappear. Occasional mutants however, improve adaptive efficiency in some way and these compete more successfully and contribute disproportionately more of their traits to succeeding generations.

(Folge: adaptive variation)

(E.O.D.)

Nur de Beer meint in seinem Britannica-Beitrag, dass die Mutationen bereits genügend Variation verursacht haben, dass - würden Mutationen plötzlich aufhören - die Evolution noch einmal die gleiche Strecke wie von Anbeginn bis jetzt zurücklegen könnte. Immerhin hätten dann die Mutationen gut vorgesorgt! Ich habe jedoch 1986/1987 an einem umfangreichen Tatsachenmaterial gezeigt, dass eine solche Annahme nicht korrekt ist (vgl. Lönnig 1987, pp. 334 - 473; dort bin ich auch auch auf die Einwände von Lorenzen zum Thema Kybernetische Evolutionstheorie, Mutation und Selektion zu sprechen gekommen.

Sagan betont in seinem Beitrag LIFE stärker die Rekombination als die übrigen Autoren, schreibt aber an anderer Stelle (1982, p. 39) ebenfalls:

Mutationen...Sie stellen der Evolution das Rohmaterial. Die Umweltverhältnisse bringen jene wenigen Mutationen, die die Überlebenschancen erhöhen, zur Wirkung, wodurch eine Lebensform durch eine Reihe von Umwandlungen ganz allmählich in eine andere übergeht und eine neue Art entsteht.

Encyclopaedia Universalis (1985, Bd. 12., p. 843):

Überschrift: Mutations et evolution.

Les mutations mettent donc en évidence, dans le monde vivant actuel, la tendance spontanée du materiel génétique des organismes à présenter des variations. On sait, d'autre part, qu'au cours du passé géologique de la Terre se sont accomplies d'incessantes et profondes transformations des espèces. Dans la théorie de l'évolution, aujourd'hui généralement acceptée, on admet que ces transformations évolutives ont été, au niveau du matériel génétique, de même nature que l'on étudie dans le monde actuel sous le nom mutations.

(Anschließend wird auf die Wichtigkeit von Population und Selektion für die Evolution hingewiesen.)

Philippe d'Héritier

Zusammenfassend können wir die herrschende Auffassung mit den Worten eines ihrer großen Wegbereiter, nämlich Erwin Baurs beschreiben, der bereits 1924, p. 147, unter besonderer Betonung der Kleinmutationen folgendes feststellte:

Selbstverständlich muß die Auslese von besonderen Kombinationen von Mutationen eine große Rolle spielen.

Ich verkenne durchaus nicht die große Wichtigkeit des Spieles der Kombinationen, aber immerhin in letzter Linie liefern doch eben die Mutationen das Ausgangsmaterial für die Selektion. (Bold von Baur gesperrt)

Und 1930, p. 397, schrieb er nach Aufführung der Möglichkeiten und Grenzen von Selektion und Rekombination:

Wir kommen also zu dem Ergebnis, daß von den verschiedenen Arten von erblicher Variation einzig und allein die "Mutationen" ein Auslesematerial für eine fortschreitende Entwicklung darbieten. [Man muss gerechterweise hinzufügen, dass Baur an anderer Stelle die Bedeutung der Mutation und Rekombination für die Artbildung eingeschränkt hat. So meint er z.B. 1930, p. 400, dass man mit den uns bekannten Mutationen nicht über die Gattung - demonstriert am Beispiel des Löwenmäulchens - hinauskommt.]

Perutz spricht (1987, p. 211) im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit Poppers 'Gedanken über die Evolution der Arten' von der "allgemein anerkannten Theorie, nach der zufällige Mutationen und natürliche Auslese unweigerlich zur Entwicklung höherer Lebensformen führen".

Die Mutationen sind also nach den zitierten Autoren (darunter acht Nobelpreisträger) unter anderem:

- die Voraussetzung für die Bildung neuer Arten

- das unentbehrliche Rohmaterial der Evolution

- die Grundlage jeder Evolution

- ein zentrales Prinzip des Lebens

- der Schlüsselprozess für die stammesgeschichtliche Evolution

- einer der beiden großen Konstrukteure des Artenwandels

- der Motor der Evolution

- der einzige und alleinige Grund jeglicher Neuerung und Schöpfung in der belebten Natur

- die zentrale Grundlage der modernen Biologie

Denn ohne Mutationen

- wäre unsere Erde so tot wie die Oberfläche des Mondes

- käme die Evolution letztlich zum Stillstand, bzw. könnte erst gar nicht eintreten

- würde die einzig bekannte Quelle und "the ultimate source of genetic variation upon which biological evolution depends" verschwinden

- gäbe es keine naturgesetzliche Erklärung des Lebens, keine Grundlage der Evolution, keine Artumwandlung, keine Vergangenheit und keine Zukunft des Lebens.

Man könnte ein ganzes (ungeheuer langweiliges) Buch mit Zitaten zeitgenössischer Autoren füllen, die immer wieder die gleichen, oben dokumentierten Aussagen machen.

Wie eingangs erwähnt, werden an zweiter Stelle von den meisten Autoren die Rekombination genannt, dann folgen Überproduktion, Selektion, Gendrift, Isolation etc.

Wie man aufgrund der zeitgenössischen biologischen Literatur behaupten kann, dass der 'Popanz von Mutation und Selektion seit 40 Jahren aus der Welt sei', man 'von Kühn, Koehler und Lorenz nichts dergleichen gehört habe', 'niemanden kenne, der wirklich behauptet, Mutation sei das Substrat, das einzige Substrat für die Evolution', und wie man mit der Betonung der Mutation und Selektion 'die Diskussion in die Phase der frühen Mendelisten zu Beginn unseres Jahrhunderts verlagert', - das lässt eine tiefere Ursache vermuten.

Reid schreibt 1985, p. 2, zur Methodik der Synthetischen Evolutionstheorie:

The strength of polemic and level of invective employed by evolutionists suggested a skeleton in the cupboard.

Als S. von Schmidt gedrängt, konzedierte, dass er die Histidinsynthese mit Mutation und Selektion "selbstverständlich nicht" erklären könne - ("Das ist aber doch der alte Trick, dass man irgendein Phänomen, welches man nicht beschreiben kann, dazu benutzt, um die gesamte Theorie in Frage zu stellen.") und hinzufügte, dass er hunderte solche Beispiele finden könne, dürfte den aufmerksamen Symposiumsteilnehmern der Grund der Polemik im Sinne des Zitats nach Reid klargeworden sein: Der oben dokumentierte Allerklärungsanspruch der herrschenden Evolutionstheorie stimmt nicht mit den Tatsachen überein. (Wie sonst sollte man übrigens eine Theorie in Frage stellen, wenn nicht mit den Tatsachen, an denen sie scheitert? Und das ist kein Trick, sondern eine völlig legale, seit jeher in den Naturwissenschaften gebrauchte Methode, um die Grenzen von Theorien zu zeigen. Auf diese Weise wurden Phlogiston- und Urzeugungstheorie, Präformationslehre, Biogenetisches Grundgesetz, Geschlechtslosigkeit der Pflanzen und tausend weitere Hypothesen widerlegt!)

Mit der vorliegenden Dokumentation soll nicht in Frage gestellt werden, dass wir in der Genetik in neuester Zeit noch ganz andere Faktoren als die 'spontanen' Gen-, Chromosomen- und Genommutationen zur Bildung genetischer Variabilität in Erwägung ziehen, etwa Transposonaktivitäten (mit Duplikationen und footprints), Rekombination von Promotoren (Vortrag M.), Rekombination von Exons (exon shuffling; Gilbert 1978; Darnell et al. 1986), Gentransfer durch Retroviren u.a. (die jedoch allesamt nicht ausreichen, um etwa den Ursprung der genetischen Information für die Histidinsynthese und die von Kühn oben zitierten Phänomene zu erklären).

Ich möchte mit dieser Zusammenstellung nur betonen, dass bis auf den heutigen Tag für über 90 % der biologischen Autoren die Entstehung neuer genetischer Information für den Ursprung der Arten vor allem bei den herkömmlichen Mutationserscheinungen liegt und erst an zweiter Stelle die Rekombination, Selektion etc. folgen. Die in praktisch jedem neueren Lehrbuch wiedergegebenen Protein- und DNA-Stammbäume sind ein beredtes Zeugnis dafür: Die Sequenzunterschiede werden im wesentlichen auf Punktmutationen zurückgeführt und bilden die Grundlage für evolutionistische Interpretationen. Auch arbeitet die viel zitierte Evolutionsstrategie nach Rechenberg bislang ausschließlich mit den Faktoren Mutation und Selektion.

Beim Thema Rekombination darf man uberdies nicht vergessen, dass diese Prozesse ein ganzes Arsenal von Enzymen und Strukturen wie den Synaptonemalen Komplex und die Rekombination Nodules voraussetzen (Zusammenfassung bei Darnell et al. 1986, Lewin 1987), deren Entstehung nach der Synthetischen Theorie selbst auch wieder auf Mutation und Selektion zurückgeführt werden muss.

Höchst befremdend muss für den Kenner des ganzen Fragenkomplexes auch die von Neodarwinisten immer wieder vorgetragene Polemik gegen den Begriff "Neodarwinismus" als Synonym für die Synthetische Evolutionstheorie gewesen sein. Ein Blick in die neuere biologische Literatur lässt keinen Zweifel, dass die Begriffe Neodarwinismus und Synthetische Evolutionstheorie sowohl von Neodarwinisten als auch von deren Gegnern (und gleicherweise von neutralen Beobachtern) synonym gebraucht werden und dass dabei keinerlei Verständnisschwierigkeiten auftreten. Dazu einige Beispiele von Neodarwinisten (unterschiedliche Schreibweise des Wortes Neodarwinismus von den Verfassern):

H.L. Carson (1987): The genetic system, the deme, and the origin of species. Ann. Rev. Genet. 21, 405 - 423. Z.B. p. 407: "...neo-Darwinism is indeed a robust science." (Vgl. auch p. 406.)

E. Nevo (1986): Beitrag zu S. Karlin und E. Nevo (eds.): Evolutionary Processes and Theory. Orlando. P. 462: "...the evidence presented at all levels... strongly supports the basic neo-Darwinian concepts.

M.K. Hecht und A. Hoffman (1986): Why not neo-Darwinism? (Kapitelüberschrift in Annuals from Oxford. Eds. R. Dawkins und M. Ridley; Vol. 3 )

NATURE 327, p. 545 (1987) zu Dawkins Buch "The blind watchmaker": "Dawkins book, a popular exposition of neo-darwinism, follows The Selfish Gene (1976) and The Extended Phenotype (1981).

J. Maynard Smith (1987): Darwinism stays unpunctured. Nature 330, 516: "..my own view...is that we can forget about new paradigms and the death of neodarwinism."

P.S. Moorhead und M.M. Kaplan (1986): Mathematical challenges to the neo-Darwinian interpretation of evolution. Philadelphia. 2. Aufl. (Mit mehreren Beiträgen von Neodarwinisten, u.a. E. Mayr.)

B. Charlesworth und R. Lande (1982): Morphological stasis and developmental constraint: no problems for neo-Darwinism. Nature 294, 214 - 215

P. Kitcher (1988): The importance of being Ernst (Buchbesprechung, Nature 333, 25): "What Mayr has to offer here...is nothing less than a vision of biology that places neodarwinian evolutionary theory firmly at the centre."

Mir erschien die von Neodarwinisten gegen das Wort Neodarwinismus gerichtete völlig ungerechtfertigte Polemik als Versuch einer Vernebelungstaktik der zur Diskussion stehenden Probleme. Mehr hat man eben nicht zu bieten!

Dieser Streit um Worte ist übrigens nicht neu. In meiner Ersten Staatsexamensarbeit habe ich mich mit dieser Frage wie folgt auseinandergesetzt (1971, pp. 12/13 im Anschluss an die Frage nach den Erklärungsprinzipien des Neodarwinismus):

Er (Mayr) schreibt (1963, 1970, p. 1), nachdem er darauf hingewiesen hat, dass viele der früheren Evolutionstheorien nur mit einem Faktor operierten, über die neue Theorie:

In essence it is a two-factor theory, considering the diversity and harmonious adaptation of the organic world as the result of a steady production of variation and the selective effects of the environment. It is thus basically a synthesis of mutationism and environment.

Warum angesichts einer solchen Definition die Bezeichnung "Neodarwinismus" unpassend sein sollte, bleibt unverständlich, zumal Mayr noch auf folgendes hinweist:

To be sure, the current theory of evolution...owes more to Darwin than any other evolutionist and is built around Darwin's essential concepts.

An dieser Tatsache ändert sich nichts, wenn er fortfährt:

Yet it incorporates much that is distinctly post-Darwinian. The concepts of mutation, variation, inheritance, isolation, and species were still rather nebulous in Darwin's day. To avoid confusion, it has been suggested particularly by Simpson (1949, 1960b) that the term "neo-Darwinism", originally introduced into biology for Weismann's concepts of evolution, should be dropped.

Würde man eine solche Argumentation akzeptieren, dann müsste z.B. auch die hier gebrauchte Bezeichnung "Mutation" fallen gelassen werden; denn der neodarwinistische Mutationsbegriff hat mit der ursprünglich von DeVries gebrauchten Bedeutung weniger gemeinsam als der Darwinismus Weismanns mit dem (heutigen) Neodarwinismus. Dieses "to avoid confusion" ist übrigens rein fiktiv. Mir ist in meinen sich über Jahre erstreckenden Diskussionen zu diesem Thema noch niemand begegnet, der durch diesen Begriff verwirrt worden ist. Wir können ihn also mit voller Berechtigung weiter gebrauchen. Portmann bemerkt über den Begriff "Synthetische Evolutionstheorie" (1970, pp. 176, 177):

Ich habe das Wort nicht gern, denn ich kenne keine Theorien, die nicht synthetisch sind, aber darüber wollen wir vielleicht nicht rechten.

So geht dieser Streit um Worte nun schon seit einigen Jahrzehnten. Ich gebrauche in der vorliegenden Arbeit beide Begriffe, und zwar durchweg synonym.

Die Kritik von Seiten der Synthetischen Evolutionstheorie an der Kybernetischen erscheint mir jedoch berechtigt. Dem Kommentar von Prof. M. (Zoologe aus Heidelberg, brieflich vom 12.8.87) ist kaum etwas hinzuzufügen:

"Er (Schmidt) bietet keinen einzigen experimentellen Befund, nicht einmal eine Arbeitshypothese

- wie Gene ohne jede Matrize völlig de novo synthetisiert werden könnten,

- wie der Organismus überhaupt erkennen soll, welche Nukleotidsequenzen neu gemacht oder gezielt verändert werden sollten, damit nach einer langen Kette von Entwicklungsprozessen zweckmäßig ausgestattete Zellen zweckmäßig modifizierte Organe hervorbringen oder zweckmäßig neue nervöse Verschaltungen herstellen, die dann ein zweckmäßig verändertes Verhalten bedingen,

- wie denn die neu synthetisierten Gene gezielt und passend ins Genom der Eizelle eingesetzt werden könnten."

[Diese Einwände treffen z.T. auch auf den Neodarwinismus zu.] Wenn auch die Kybernetische Evolutionstheorie ebensowenig eine kausale Erklärung vorlegen kann wie die Synthetische im Bereich der Makroevolution (vgl. oben Kühn), so bleibt es doch das Verdienst Schmidts, einen wertvollen Beitrag zur Relativierung des Allerklärungsanspruchs der herrschenden Theorie geleistet zu haben.


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