Zurück zur Internet Library

Aus: Religion Staat Gesellschaft (Journal for the Study of Beliefs and Worldviews), 7. Jahrgang 2006, Heft 2, pp. 135-184 (erschienen am 25. Mai 2007), Verlag Duncker und Humblot, Berlin (mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber Prof. Gerhard Besier und Prof. Hubert Seiwert, des Verfassers Dr. Robert Schmidt und des renommierten Verlags Duncker und Humblot, Berlin).

„Götter und Designer bleiben draußen“ – Eine kritische Diskursanalyse der Medienberichterstattung zu Intelligent Design im deutschsprachigen Raum

Von Robert Schmidt

Wie wenige andere naturwissenschaftliche Modelle ist die moderne Evolutionstheorie auch für das Weltbild der nichtwissenschaftlichen Öffentlichkeit von grundsätzlicher Bedeutung. Sie hat traditionelle Dogmen erschüttert und die Bildung neuer Ideologien1 beeinflußt. Das ehemals religiöse Selbstverständnis des Menschen hat sich seit der „biologischen Desillusionierung“ (Habermas) durch Darwins Theorie der Entstehung der Arten grundlegend gewandelt. Der spätestens seit der Aufklärung metaphysisch obdachlos gewordene Mensch ist jetzt auf die humanistischen Deutungen der säkularen Mächte verwiesen. Dagegen muß sich das religiöse Bewußtsein in der Moderne „auf die Autorität von Wissenschaften einstellen, die das gesellschaftliche Monopol an Weltwissen innehaben“.2 Im Namen dieser Autorität weitet sich heute der Evolutionsgedanke auf andere Disziplinen und Wissensbereiche aus. Und es ist folgenreich, wenn „Evolution“ zu einem Denkmodell erhoben wird, das mit dem Anspruch auf Erklärung des Ganzen der Wirklichkeit3 auftritt. Durch das evolutionäre Paradigma werden alle Wirklichkeitserfahrungen auf ein der Wirklichkeit immanentes Grundprinzip zurückgeführt. Die wissenschaftliche Aufklärung als Teil der Wahrheitsordnung der Moderne übernimmt in unserer Zeit somit mehrere Funktionen, welche ehemals der Religion zugehörten: ihre maßgebende Auskunft über die Wirklichkeit soll uns deren letzte Gründe offenbaren und von ihr wird ein gewisses Heil erwartet. Um so mehr wird verständlich, daß ein großer Teil der säkularen Utopien auf den Biowissenschaften ruht. Die darauf beruhende Fortschrittshoffnung bedeutet jedoch nicht Sinnhoffnung. In der Auseinandersetzung um Kohärenz und Inkompatibilität der Begriffe Wissen und Glauben geht es letztlich immer um das Wirklichkeitsverständnis des Menschen. Es geht um das Bedürfnis des Fragens nach Sinn und Deutung der Wirklichkeit. Das Selbstverständnis des Menschen, sein Ort, seine Bedeutung, seine Orientierung in Kosmos und Geschichte ist für viele Menschen mehr als nur eine Frage von wissenschaftlichen Erklärungsmodellen. So auch für eine Anzahl Naturwissenschaftler, welche sich eben die Komplexität um die Entstehung des Lebens aus naturalistischer Sicht nicht erklären können.

Im Kern der Auseinandersetzung um die Entstehung des Lebens zwischen Evolutionsbiologen und Intelligent-Design-Befürwortern geht es ja bekanntermaßen nicht nur um die Verhältnisbeziehung zwischen Glauben und Wissen, sondern um die Infragestellung der synthetischen Evolutionstheorie aus fachlich-wissenschaftlichen und heuristischen Gründen. Daß die Debatte jedoch auf dem niedrigen Niveau einer Kampagne geführt wird und auf sehr eindimensionale Bedeutungsmuster verweist, zeigt die Medienberichterstattung über ID in Deutschland. Gleichzeitig werden aber auch die Ambivalenzen, Reichweiten und Mehrdeutigkeiten eines Diskurses sichtbar, welcher sich auf ganz spezifische Tiefenschichten kulturkonstituierender Wissensordnungen bezieht. Hier ist zu erkennen, daß die Evolutionstheorie weit mehr ist als nur ein wissenschaftliches Erklärungsmodell. Sie überschreitet viele Grenzen und ist nunmehr nicht nur eine Sache der Biologen.

Als der damalige Studentische Arbeitskreis Evolutionstheorie in Zusammenarbeit mit der Fakultät für Biologie im Rahmen des Studium-Generale-Programms der Universität Tübingen im Sommersemester 1991 eine Ringvorlesung zum Thema Evolution zwischen Wissenschaft und Ideologie veranstaltete, war das öffentliche Interesse sehr groß. Eine kontroverse Diskussion hatte das Thema: Läßt sich die Evolutionstheorie durch wissenschaftliche Tatsachen widerlegen? Die moderierten Diskussionen wurden fair, respektvoll und sachlich geführt. Die Presse hatte umfassend und relativ ausgewogen über die Veranstaltung berichtet.4 Wegen des großen Interesses ging aus der Ringvorlesung eine Aufsatzsammlung hervor, welche 1995 in der Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft Stuttgart erschienen ist.5

Eine Veranstaltung mit diesem Format könnte heute vermutlich nicht mehr stattfinden. Für die damals in Tübingen referierenden Evolutionskritiker Scherer und Lönnig finden die Zeitungen heute ganz andere Töne. So lauten beispielsweise die einleitenden Sätze eines Spiegel-Artikels:

„Thüringen lädt Evolutionskritiker aus. In der Erfurter Staatskanzlei sollte der um-strittene Münchner Mikrobiologe Siegfried Scherer über die Evolution und den Schöpfungsakt Gottes diskutieren.“6

Über den Genetiker Wolf-Ekkehard Lönnig schreibt Die Zeit:

„Entwürfe in Gottes Namen. Darf ein Biologe die Evolution in Frage stellen? Ausgerechnet am Kölner Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung erklärt ein Wissenschaftler die Natur als Werk eines intelligenten Designers. Jetzt kämpft das Institut um seinen guten Ruf.“7

Es ist zu beobachten, daß die Medienberichte über Intelligent Design heute einen überwiegend negativen Charakter haben. Auch ist das Medienklima der letzten Jahre in Bezug auf Intelligent Design deutlich rauer geworden. Ein Ziel dieser Untersuchung beschäftigt sich mit der Frage, worin diese Entwicklung denn begründet sein könnte? Weshalb reagieren die Medien so ablehnend?

Zudem ist festzustellen, daß in der öffentlichen Auseinandersetzung um die Evolutionskritik Max-Planck-Institute, politische Institutionen, Bildungseinrichtungen und renommierte internationale Fachmagazine, wie beispielsweise Nature, gleichermaßen involviert sind. Andererseits ist aber auch auffällig, daß wissenschaftliche Evolutionskritik dabei selten zur Sprache kommt. In diesem Zusammenhang ist die Frage zu stellen, nach welchen Mechanismen der Umgang mit Evolutionskritik in der Öffentlichkeit denn eigentlich funktioniert und wie diese zu bewerten sind?

Weitere Fragestellungen resultieren aus den methodologischen Überlegungen einer sozialwissenschaftlich orientierten Diskursanalyse, welche ich der nun folgenden Medienanalyse voranstellen möchte.

I. Intelligent Design im Licht der Medien

1. Methodologische Vorüberlegungen

a) Fragestellungen

Es gehört zu den Grundannahmen der Sozialwissenschaften, daß die Beziehungen der Menschen zur Welt durch kollektiv erzeugte symbolische Sinnsysteme oder Wissensordnungen vermittelt werden.8 In sozialwissenschaftlichen Analysen der gesellschaftlichen Bedeutung von Wissen und symbolischen Ordnungen haben in den letzten Jahrzehnten, vor allem inspiriert durch die Arbeiten von Michel Foucault,9 die Begriffe des Diskurses und der Diskursanalyse beachtlich an Bedeutung gewonnen.

Mit Diskurs ist hier nicht jeder beliebige öffentliche Sprechakt gemeint, sondern im hier verfolgten Verständnis „handelt es sich bei Diskursen um Formen „institutionellen Sprachgebrauchs“, um Aussagekomplexe, die Behauptungen über Phänomenbereiche aufstellen und mit mehr oder weniger stark formalisierten/formalisierbaren Geltungsansprüchen versehen sind“.10 Die wissenssoziologische Diskursanalyse untersucht hier die Prozesse der „gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit“ – die „Objektivität der Ordnungen und ihre kommunikative Konstruktion“ – in institutionellen Feldern der Gesellschaft.11 Bezogen auf die zentralen Fragen, wer denn in legitimer Weise wo sprechen darf und was denn wie gesagt werden darf oder kann, spielen natürlich die Ressourcenverteilungen für die Teilnahme am kommunikativen Austausch eine zentrale Rolle.

Bedeutsam für öffentliche Diskurse sind schließlich die Massenmedien als Arena der Konfliktaustragung mit ganz eigenen Verlaufsmechanismen. Sie stellen sozusagen den öffentlichen Raum für Diskurse zur Verfügung. Die Massenmedien erzeugen heute Texte und Bilder, welche zur gesellschaftlichen Wirklichkeitskonstruktion beitragen. Häufig werden über Medienberichte, Artikel und Interviews besondere Folien zur Interpretation von Wirklichkeit bereitgestellt und dann über entsprechende Fokussierungen spezifische Relevanzmuster menschlichen Deutens und Handelns auf den unterschiedlichsten Ebenen erzeugt und strukturiert. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß die Massenmedien gerade durch diese Selektionsprozesse den kulturellen Code des Politischen mitbestimmen, das heißt „was politisch denkbar ist“ und wer „zu den legitimen Akteuren des politischen Spiels zählt“.12 Die Massenmedien beobachten und kommentieren die aufeinanderbezogenen Reden der Akteure und veröffentlichen sie spezifisch gefiltert. Gerade im Hinblick auf die Intelligent-Design-Debatte eignen sich die Massenmedien in besonderer Weise für eine empirische Analyse öffentlicher Diskurse. Denn der ID-Diskurs findet seinen Ort der Verbreitung und Produktion vornehmlich in der Berichterstattung der Massenmedien (Filme, Reportagen, Wissenschaftsjournalismus, Interviews, Radiofeatures, Internet u. a. m.). Sie stellen hier die Arena dar, in welcher über die (öffentliche) Bedeutung und die vermutete Resonanzfähigkeit von Botschaften zu Fragen der Entstehung des Lebens entschieden wird.13

Über Diskurse werden somit Deutungszusammenhänge produziert, die Wirklichkeit in spezifischer Weise konstituieren. Bezogen auf die Intelligent-Design-Berichterstattung geht es um die Beantwortung der Fragen, welches Wissen, welche Gegenstände, Zusammenhänge, Eigenschaften, Subjektpositionen usw. als wirklich behauptet werden, mit welchen Mitteln – etwa Deutungsschemata, diskursspezifischem Interpretationsrepertoire, Wertimplikationen und Machtwirkungen – dies geschieht, und welche unterschiedlichen Formationsregeln und Ressourcen diesem Prozeß zugrunde liegen. Desweiteren geht es darum, zu analysieren, welche Strategien und Mechanismen der Resonanzerzeugung verwendet werden. Wie werden Emotionen geweckt? Welche Vergleiche werden gezogen? Arbeitet ein Diskurs mit Polemisierungen, Polarisierungen, Stigmatisierungen, Diskreditierungen oder verfremdenden Mitteln der Abstraktion? Welche narrative Strukturen (roter Faden, Story line, Plot) entfaltet ein Diskurs, um öffentliche Aufmerksamkeit und gesellschaftliche Wirkung zu erzielen? Und gerade weil die Auseinandersetzung um die Entstehung des Lebens sehr viel mit dem Selbstverständnis des Menschen zu tun hat, muß der Blick auch darauf gerichtet werden, wie Alltagswissen, Alltagsrepräsentationen oder subjektive Sinnwelten durch Prozesse kollektiver Wissenserzeugung und (massen-)medialer Vermittlung mitgeformt werden. Der Soziologe Anthony Giddens hat darauf hingewiesen, daß viele Menschen zu einer „Einigung mit der Moderne“ kommen, „indem sie ein gewisses Vertrauen in symbolische Zeichen und Expertensysteme setzen. Das Wesen dieser Einigung wird durch jeweilige Beimischungen von Respekt und Skepsis, Trost und Angst bestimmt“.14 Um so wichtiger wird die Frage, welche Machteffekte von einem Diskurs ausgehen und wie sich dieser zu gesellschaftlichen Praxisfeldern, Teilsystemen und Alltagsrepräsentationen verhält?

b) Mediensample und Textauswahl

Das Datenmaterial für die vorliegende empirische Analyse bestand primär aus Texten der Printmedien. Im Sample der Medienberichterstattung über Evolution, Kreationismus, Intelligent Design und verwandte Themengebiete wurden, soweit wie dies zu übersehen war, die wichtigsten deutschsprachigen Artikel in überregionalen Tages- und Wochenzeitungen als meinungsführende Instanzen berücksichtigt. Den Auswahlzeitraum für das Printmediensample habe ich, von einigen Ausnahmen abgesehen, auf die beiden Erscheinungsjahre 2005 und 2006 festgelegt. Hinzu kommen Artikel und Berichte aus der regionalen Presse, dem Internet und den Online-Diensten der Zeitungs-, Radio- und Fernsehredaktionen. Der zusammengestellte Textkorpus zur deutschsprachigen Intelligent-Design-Debatte bestand somit aus ca. 140 Artikeln. Ich habe zudem eine aktuelle Fernsehreportage in die Analyse einbezogen.

2. Die Story lines der Medienberichte über Intelligent Design

Bei einer ersten Durchsicht der Artikel zum Intelligent-Design-Diskurs wurde sehr schnell deutlich, daß sich ca. 80 % der Artikel auf eine übersichtliche Anzahl narrativer Muster reduzieren lassen. Einer relativ ausgewogenen Berichterstattung sind dagegen ca. 20 % der Texte zuzuordnen. Verschiedene Ansätze der Diskursforschung betonen, wie oben erwähnt, die Rolle von Story lines, roten Fäden oder Plots, durch welche die einzelnen Bestandteile einer Aussage zu einer kleineren oder größeren Erzählung bzw. Geschichte verbunden, also über die willkürliche Reihung sprachlicher Äußerungen hinaus spezifisch konfiguriert werden.15 Geschichten bestehen zudem aus Episoden, in denen auch Wertgegensätze zum Ausdruck kommen können, entweder durch Gegensatzpaare (schwarz/weiß) oder durch Beziehungen zwischen Protagonisten (Held/Anti-Held). Die einzelnen Einheiten und Aktanten der Erzählung sind durch eine mehr oder weniger dramatische Handlungskonfiguration (den Plot) miteinander verknüpft. Durch diesen konfigurativen Akt werden Bedeutungen und Wertstrukturen organisiert.16 Die typischen Deutungsmuster, welche die Medienberichterstattung über Intelligent Design charakterisieren, können so mit der Methode einer narrativen Diskursanalyse gut beschrieben werden.

a) „Wissenschaftsfeinde“: Bedrohungsszenarien und Polarisierungen

„Wenn zugelassen wird, daß sich christlicher Fundamentalismus weiter verbreitet, gefährdet man ein hohes Gut, das Wissen der nächsten Generation und das Vertrauen in ein demokratisches System, dass auch mit ungelösten Fragen leben kann [...]. Die Trennung von Religion und Naturwissenschaft hat unzählige neue Erkenntnisse gebracht – und das Europa von heute entstehen lassen: eine weitgehend demokratische, aufgeklärte Gesellschaft! Wer die Trennung von Religion und Wissenschaft rückgängig macht, setzt nicht mehr und nicht weniger als diese Errungenschaften aufs Spiel!“

Mit diesen Worten endet ein am 19. 9. 2006 bei Arte ausgestrahlter Beitrag von Peter Moers und Frank Papenbroock.17 In ihrer Reportage mit dem Titel „Von Göttern und Designern. Ein Glaubenskrieg erreicht Europa“ spiegelt sich exemplarisch eine zentrale Argumentationskette wider, wie sie in vielen Zeitungsartikeln der Jahre 2005 und 200618 zu finden war. Grundtenor ist die Bedrohung der aufgeklärten Gesellschaft durch „christlich-fundamentalistische“ Gruppierungen. Als Aufhänger dienen US-Gerichtsprozesse, in welchen christliche Bewegungen für eine Gleichstellung der biblischen Schöpfungslehre oder von ID-Modellen bei gleichzeitiger Relativierung evolutionstheoretischer „Tatsachenbehauptungen“ im Biologieunterricht an Schulen in den USA streiten. Die Kritik an der Evolutionstheorie wird nicht nur als „Beschädigung“ (Arte), sondern ganz allgemein als Angriff gegen die Wissenschaft gedeutet, welche wiederum, im Gegensatz zu „religiös-fundamentalistischen“ Auffassungen, als tragendes Symbol der Wissensordnung einer „aufgeklärten“ Gesellschaft hervorgehoben wird. In der medial inszenierten Polarisierung zwischen Befürwortern und Gegnern der Evolutionstheorie wird zumeist nicht zwischen Fundamentalismus, Kreationistmus und Intelligent Design unterschieden. Das hat zur Folge, daß vor den realen Hintergründen und tatsächlichen Sachverhalten die Konstellationen, Interpretationen und Bedeutungszusammenhänge zusehends verschwimmen und undeutlich werden. So stehen in den Kriegsszenarien der Artikel einerseits die „Wissenschaftsfeinde“ dem „aufgeklärten“ Menschen gegenüber. Andererseits tragen wiederum die tatsächlichen politischen Interessen einzelner „kreationistischer“ Bewegungen in den USA zu einer Instrumentalisierung der Wissenschaft bei. Vor allen Dingen dann, wenn religiös und politisch motivierte Nichtwissenschaftler in für die US-Regierung politisch relevanten wissenschaftlichen Entscheidungsgremien eingesetzt werden.19 In diesem Kontext erscheinen dann wiederum religiös und nicht politisch motivierte Wissenschaftler und Evolutionskritiker im „akademischen Gewand“ (Süddeutsche Zeitung) des Intelligent Designs, welche „fundamentalistische“ Glaubenslehren in die Gesellschaft hineintragen wollen. In dieser Melange findet auch die noch zu betrachtende Verschwörungslogik der Bedrohungsszenarien und „akademischen Tarnkleider“20 ihr notwendiges Körnchen Wahrheit.21 So erfährt der Begriff „Intelligent Design“ in den Medien ganz unterschiedliche und zum großen Teil negative Zuordnungen. Diese können jeweils religiöser, politischer oder wissenschaftlicher Natur sein, wobei letztere häufig als „Pseudowissenschaft“ abgewertet wird, oder es vermischt sich eben alles zu einem medial inszenierten, diffusen Bild der Bedrohung, worin sich alle möglichen zwiespältigen Absichten sowie die Motive verschiedener Interessenträger ganz im rhetorischen Stil des Eintopfprinzips ableiten lassen. Die von einzelnen religiösen Interessenverbänden in den USA vorangetriebene Politisierung der Wissenschaft hat somit an den von den Medien produzierten ID-Bildern keinen unerheblichen Anteil. Die Argumentationskette der Story lines Wissenschaftsfeinde (Der Spiegel) endet dann der US-Bildungsdebatte und dem dazugehörenden Plot folgend bei deutschen Schulen und bedient sich dabei zahlreicher Kriegsmetaphern. So lesen wir in der FAZ zur Ankündigung der eingangs erwähnten Reportage bei Arte:

„[...] Viel weniger bekannt ist, daß zurzeit in Europa auch christliche Fundamentalisten Fuß fassen. Auf mal mehr, mal weniger subtile Weise führen sie einen unblutigen Glaubenskrieg, der auf den ersten Blick vergleichsweise harmlos erscheint. Doch auch sie arbeiten mit medial organisierter Empörung. Ihre Schlachtfelder sind Schulen, Lehrbücher und wissenschaftliche Symposien. Ihr Ziel ist eine voraufklärerische Gesellschaft. Ihr Antichrist heißt Charles Darwin.“22

Das kulturbedrohende Szenario gegen die aufgeklärte Gesellschaft und ihrer humanistischen Werte findet nun in den Bildungseinrichtungen Deutschlands ein konkretes „Schlachtfeld“ und läßt der eigenen medial vermittelten Kampflogik folgend keine wissenschaftliche Auseinandersetzung zu: statt dessen bemüht man in den Medienberichten das ganze Arsenal des Kriegsvokabulars.

Die Argumentationsstrategie basiert zudem auf der einfachen Polarisierung zwischen „objektiver Wissenschaft“ und Intelligent Design als wissenschaftlich „verkleideter Glaubenslehre“.

Im folgenden möchte ich mich mit ausgewählten, repräsentativen Textauszügen von je einem Artikel aus dem Spiegel (SP) und der Süddeutschen Zeitung (SZ) auseinandersetzen. So lassen sich unter dem Label Wissenschaftsfeinde folgende detaillierte Episoden und Argumentationsmuster identifizieren.

Episoden Zentrales Label: Wissenschaftsfeinde
E1 Einleitung: Bedrohungsszenarien (Rahmung, Kontext, Anlaß, Text-Oberfläche/Sinneinheiten)
Beispiel A: Der Spiegel (52/2005),23 1. Textauszug

Im Spiegel findet sich unter dem Titel Darwins Werk, Gottes Beitrag folgende Zusammenfassung:

„In den USA eskaliert ein Kulturkampf. 150 Jahre nach Darwin versucht die religiöse Rechte aufs Neue, die moderne Evolutionsbiologie zu demontieren und damit der aufgeklärten Gesellschaft die Grundlage zu entziehen. Das nächste Ziel der Wissenschaftsfeinde: Europa.“ (136)

Die Schulbehörde von Kansas24 fasste bei ihrer Sitzung im November 2005 einen „folgenschweren Beschluss: Die Biologielehrer von Kansas sollen nicht mehr nur die Evolution lehren. Sie sollen auch von einer überirdischen Macht erzählen dürfen, einem intelligenten Designer, der die Menschen in all seiner Herrlichkeit geschaffen habe. Charles Darwin, dem Begründer der Evolutionstheorie, wurde damit der Prozess gemacht. Die Entscheidung reicht weit über die Grenzen von Kansas hinaus. Ein Kulturkampf tost in Amerika – und die Schulräte haben vor den Augen der Welt einen Etappensieg errungen: für die Sache des Herrn, für die mächtige Bewegung der religiösen Rechten. Und gegen die Wissenschaft. [...] Gott gegen Darwin – so heißt es gegenwärtig in 20 der 50 Bundesstaaten der führenden Industrienation. [...] Das langfristige Ziel der Darwin-Gegner geht weit über die Lehrpläne hinaus: ‚Die Grundlage aller Wissenschaft soll durch einen christlichen Theismus ersetzt werden‘, verlangte schon vor sieben Jahren Phillip Johnson, einer der Gründerväter der Bewegung. ‚Unsere Kultur soll erneuert werden, so dass der Mensch wieder als Ebenbild Gottes gesehen wird.‘ [...] Zum Showdown im Kulturkampf ist es jetzt in Pennsylvania gekommen. In der Kleinstadt Dover hatten elf Mütter und Väter gegen ihren Schuldistrikt geklagt, weil ihre Kinder, von religiösen Eiferern in der Biologiestunde angestachelt, zu Hause voller Hass über die Abstammungslehre herzogen. Jegliches Gerede von einem intelligenten Schöpfer, fanden die Kläger, habe im Unterricht nichts zu suchen. Denn die Verfassung der Vereinigten Staaten verbietet es, religiöse Inhalte an öffentlichen Schulen zu lehren. [...] Am Dienstag hat John Jones, Richter am Bundesgericht in Harrisburg, den Missionaren des Intelligent Designs einen mächtigen Dämpfer verpasst. Sie hätten ‚wieder und wieder gelogen‘, um ihr wahres Ziel zu erreichen, nämlich ‚Religion ins Klassenzimmer der öffentlichen Schule zu tragen‘. (137)

Beispiel B: Süddeutsche Zeitung (12. 7. 2005), 1. Textauszug

Die Süddeutsche Zeitung befaßte sich in den Sommermonaten 2005 in einer Artikelserie mit dem Thema Streitfall Evolution. Der Begleittext der einzelnen Beiträge lautete wie folgt:

„150 Jahre nach den Erkenntnissen von Charles Darwin versuchen Kreationisten, die Evolutionstheorie durch eine verkleidete Glaubenslehre zu ersetzen. Die bereits an Schulen und Universitäten verbreitete Theorie eines ‚Intelligenten Designers‘ ist ein Frontalangriff auf die naturwissenschaftliche Aufklärung.“

Auszüge aus dem Artikel von Sebastian Herrmann: Steter Druck. Kreationismus hat auch in Deutschland einen Nährboden25

„Unter die Laudatoren reihte sich auch Dieter Althaus, seit 2003 Ministerpräsident von Thüringen. [...] Es galt, die Empfänger des Deutschen Schulbuchpreises 2002 zu würdigen. Das ausgezeichnete Werk: ‚Evolution – Ein kritisches Lehrbuch‘, ein Buch für den Biologieunterricht, in dem die Autoren die moderne Evolutionstheorie angreifen und ein Schöpfungsmodell auf religiösen Grundlagen entwerfen. [...] Althaus, der fast acht Jahre lang Kulturminister Thüringens war, würdigte das Buch als ‚sehr gutes Beispiel für werteorientierte Bildung und Erziehung‘ und führte weiter aus: ‚Die Evolutionsgläubigen verallgemeinern ihre scheinbar in sich schlüssige Theorie und lassen für die Möglichkeit der Schöpfung keinen Raum.‘ Er hoffe deshalb, [...] dass dieses Buch nicht nur von Biologielehrern für den Unterricht verwendet werde. Die Vertreter des Vereins ‚Lernen für die Deutsche und Europäische Zukunft (LDEZ)‘, der den Schulbuchpreis gestiftet hat, waren angetan: Denn hinter dem LDEZ verbergen sich konservative Christen. [...] Eine der Waffen ihres Kreuzzugs ist ihr Deutscher Schulbuchpreis. In den USA kämpfen bibeltreue Christen seit Jahrzehnten darum, die von Charles Darwin begründete Evolutionslehre aus den Schulbüchern zu drängen. An die Stelle von Mutation und Selektion soll Gott treten. Auch in Deutschland haben Evolutionskritiker und Anhänger der biblischen Schöpfungslehre, zumeist evangelikale Christen, Mitglieder verschiedener Freikirchen oder die Zeugen Jehovas, längst den Kampf um die Köpfe der Schulkinder aufgenommen. [...]“

Die Story lines „Wissenschaftsfeinde“ eröffnen das Bedrohungsszenario zumeist an zwei Schauplätzen, die früher oder später aufeinander bezogen werden: amerikanische und deutsche Schulen sind in Gefahr. Einleitend finden zunächst besonders extreme Beispiele aus den USA ihre Erwähnung, ergänzt mit einschlägigen Zitaten aus fundamentalistisch christlichen Kreisen sowie Berichte über deren Versuche, den Schulunterricht im Fach Biologie durch Creation Science zu ersetzen bzw. zu ergänzen.

Ein häufig anzutreffendes Argumentationsmuster in den Anfangsepisoden ist die verallgemeinernde wertbezogene Etikettierung evolutionskritischer Personenkreise als „wissenschaftsfeindlich“ und „antiaufklärerisch“. Aus der vermeintlichen Wissenschaftsfeindlichkeit folgen die noch schwerer wiegenden Schlußfolgerungen, daß die „Errungenschaften“ der aufgeklärten Gesellschaft aufs Spiel gesetzt werden (Arte), mehr noch, der aufgeklärten Gesellschaft solle die Grundlage entzogen werden (Spiegel). Die dahinterstehende Argumentationsstrategie ist textimmanent notwendig, um den gängigen polarisierenden Kernaussagen und Zielrichtungen der Artikel eine Legitimation zu verleihen. Im Alltagsverständnis der Menschen haben die medizinischen und technischen Fortschritte der Wissenschaft einen gewissen Stellenwert. Das Wissenschaftssystem stellt ein bedeutendes Fundament der modernen Gesellschaft dar. Die Logik der Story line: wer Evolution kritisiert oder bestreitet, ist gegen Wissenschaft und damit gegen die Errungenschaften bzw. Grundlagen unserer Gesellschaft. Somit sind Kritiker der Evolutionstheorie gefährlich, ihre Einmischung in die Wissenschaft ist nicht zu tolerieren und sie müssen bekämpft werden. Das meint nichts anderes, als daß die Evolutionstheorie eben auch zu den sicheren Grundlagen unserer Gesellschaft gehört: wer diese kritisiert, raubt unserer Kultur somit die Basis. Doch stellt sich dieses „Problem“ überhaupt in Wirklichkeit?

Erste Anzeichen für eine nur behauptete Gefahrenkonstruktion lassen sich schon im weiteren Verlauf der Argumentationsstrategien der Story line Wissenschaftsfeinde entdecken. Wie die oben zitierten Textauszüge zeigen, stellen ja zunächst die „Kreationisten“ die evolutionskritischen Akteure der Anfangsepisoden dar. Diese öffentlich abzuwehren, fällt den Evolutionsbiologen im Kontext einer von Expertensystemen bestimmten Gesellschaft nicht schwer. Hierzu genügt der bloße Verweis auf die vermeintliche „Unvereinbarkeit“ von Glauben und Wissen, also der Hinweis auf die Verschiedenheit der Denksysteme und die Autorität des Experten. So kommentiert der Kasseler Pflanzenphysiologe, Leiter der AG Evolutionsbiologie und erklärter Gegner des Intelligent Designs Ulrich Kutschera in Focus-Schule: „Die Leute können glauben, was sie wollen, aber sie sollen die Wissenschaft in Ruhe lassen. Wir arbeiten auf der Basis von Beweisen, nicht von Glaubenssätzen.“26 Schwieriger wird es für die Evolutionsbiologen, wenn die Kritik aus wissenschaftlichen Kreisen kommt und diese dann auch noch politische Unterstützung findet (Althaus und Schulbuchpreis). Doch zunächst geht es im weiteren Verlauf der ausgewählten Artikel darum, über den Aufbau von Wert-Gegensätzen, Implikationen und Anspielungen die Kompetenz der religiös motivierten, aber wissenschaftlich argumentierenden Akteure in Frage zu stellen.

E2 Ursachen / Motive (Wert – Gegensatz, Polarisierung)
Beispiel A, 2. Textauszug (SP)

[...] „Zugleich aber hat keine Erkenntnis den Menschen tiefer beleidigt. Vom Affen sollte der Mensch, das edle Geschöpf, die Krone der Schöpfung abstammen? Nichts als das Resultat zufälliger Prozesse sei er, ohne Plan und Ziel, ohne heiligen Odem, der aus der Krume erst Leben zaubert? Die Abwesenheit der göttlichen Hand, die den Ratsuchenden väterlich geleitet und dem Strauchelnden aufhilft, lässt die Welt kalt und sinnlos wirken. Und der Gedanke, dass alle Komplexität auf Erden, selbst die menschliche Intelligenz und das Faszinosum des Bewusstseins durch einen ziellosen Prozess entstanden sein sollen, scheint schwer zu begreifen. Wie schön wäre es da, wenn es gelänge, ein persönliches Wesen, einen intelligenten Designer in diese scheinbar so entseelte Natur zu schmuggeln. Mit missionarischem Eifer versucht dies die religiöse Rechte Amerikas – und bereitet nun auch einen globalen Feldzug gegen Darwin vor.

Das konservative Discovery Institute in Seattle, Denkfabrik der Bewegung, fördert mehr als 40 Akademiker und Buchautoren, auf dass sie die Idee des Intelligent Designs (ID) in die Welt aussenden. Im Sommer half das Institut dem Wiener Erzbischof Christoph Schönborn, einen evolutionskritischen Kommentar in der ‚New York Times‘ zu platzieren. [...] ‚Die Intelligent-Design-Bewegung wächst in vielen Orten‘, schwärmt Institutspräsident Bruce Chapman. In Deutschland glauben allerdings nur 16 Prozent der Bevölkerung an eine Schöpfung à la Bibel – ein relativ kleiner Markt für Kreationisten. Doch als der thüringische Ministerpräsident Althaus einen deutschen ID-Vertreter zu einer hochkarätigen Podiumsdiskussion lud, wurde klar, dass der Mix aus Metaphysik und Wissenschaft inzwischen auch hierzulande salonfähig ist.“ (138 f.)

Beispiel B, 2. Textauszug (SZ)

„Dabei ähneln sich nicht nur die Ansichten, auch die Strategie entspricht dem Vorgehen amerikanischer Kreationisten: ‚Es werden hochkarätige Wissenschaftler präsentiert, die angebliche Haare in der Suppe der Evolution finden‘, sagt der ehemalige Präsident des Verbandes Deutscher Biologen (VdBiol) Hans-Jürgen Jacobsen aus Hannover. Besonders Anhänger von Intelligent-Design versuchen ihrer Lehre einen wissenschaftlichen Schein zu geben, um ihr Gewicht zu verleihen. [...] Die wichtigste Vereinigung christlicher Kreationisten in Deutschland, die für sich einen wissenschaftlichen Anspruch erhebt, ist die Studiengemeinschaft Wort und Wissen. Dem Verein gehören Reinhard Junker und Siegfried Scherer, die Autoren von ‚Evolution – Ein kritisches Lehrbuch‘ an. [...] Scherer taucht auch als Vertreter der Technischen Universität München in einem Pamphlet des amerikanischen Discovery Institute (DI) auf, in dem Wissenschaftler die moderne Evolutionstheorie angreifen. [...] Das Institut unterstützt weltweit Wissenschaftler, die versuchen, das Gebäude der Evolutionslehre einzureißen.“

Zu den auffälligsten Merkmalen der Medienberichterstattung zu Intelligent Design gehört die Strategie, daß schon der Hinweis auf die christlichen Motive der Evolutionskritiker genügt, um den Diskurs auf Sachebene erst gar nicht zu eröffnen. Mit ironischem Sprachduktus spielt der Spiegel auf das getroffene Selbstverständnis des Menschen an, nicht mit dem Ziel, erkenntnistheoretische oder ganzheitliche Zugänge zu erörtern, sondern in der Absicht, die wissenschaftliche Integrität der Kritiker von vornherein in Frage zu stellen. Auf der Grundlage dieser eindimensionalen Sichtweise auf vermeintliche Motivlagen können jetzt die Feindbildszenarien entworfen werden. Spätestens hier treten die Helden in ihren gesellschaftlich legitimierten Sprecherpositionen mit ersten Wertungen auf: der wissenschaftliche Anspruch des Vereins Wort und Wissen ist doch nur ein „scheinbarer“, die Biologen Siegfried Scherer und Reinhard Junker, bekennende Christen im „akademischen Gewand“, fungieren, so will es die Verschwörungslogik zahlreicher Artikel, als „Speerspitze“ des amerikanischen Discovery Institutes, sie sind die Wegbereiter für amerikanische Verhältnisse im deutschsprachigen Raum, angetreten, um das „Gebäude der Evolutionslehre einzureißen“. Mit den wissenschaftlichen Sachargumenten von Junker und Scherer setzt sich in den Medien so gut wie niemand auseinander. „Die Fragen, die diese Leute aufwerfen, sind so gut wie alle beantwortet. Entweder wissen sie hoffnungslos zu wenig – oder sie argumentieren selektiv“, sagt Josef Reichholf, Evolutionsbiologe und Vogelkunde-Leiter der Zoologischen Sammlung in München. Ein wertendes Zitat dieser Art genügt Stefan Schmitt, Redakteur eines Artikels in Zeitwissen offensichtlich, um Baiersbronn, Sitz des Vereins von Wort und Wissen, getreu dem Bedrohungsszenario der Story line folgend, als Zentrum der „antimodernen Verschwörung“ auszumachen.27 Die Wertgegensätze sind aufgestellt, Helden und Anti-Helden redaktionell positioniert, nun müssen noch die Feindbildszenarien mit einem primären Plot versehen werden.

Subtile Unterwanderung im akademischen Gewand:28

E3 Wertungen, Folgen, Konsequenzen (sprachlich-rhetorische Mittel)
Beispiel A, 3. Textauszug (SP) (Herv. d. Verf.)

[...] „Die Umtriebe der Discovery-Leute sind Teil einer Strategie, die vom Traum eines amerikanischen Gottesstaates geleitet ist. [...] Ein internes Manifest aus dem Discovery Institute beschreibt die wahren Motive: ‚Die materialistische Sichtweise der Realität infizierte alle Bereiche unserer Kultur, von der Politik/Wirtschaft bis zur Literatur/Kunst.‘ [...] Verglichen mit ihren Geistesverwandten jenseits des Atlantiks dümpelt die kleine Schar deutscher Kreationisten vor sich hin. [...] Als gefährlicher stuft der Biologe die wissenschaftlich ausgebildeten Schöpfungslehrer und ID-Jünger ein. ‚Die missbrauchen ihre akademischen Titel, um Glaubensinhalte getarnt als wissenschaftliche Fakten unters Volk zu bringen‘, schimpft Kutschera. Dies mache es mitunter schwer, die versteckte christliche Mission als solche zu entlarven. [...] Althaus’ Sympathie mit der Sache der Bibeltreuen ging so weit, dass er kürzlich einen der Autoren des Pseudo-Schulbuchs, Siegfried Scherer, einlud zum ‚Erfurter Dialog‘ in der Staatskanzlei. Der thüringische Ministerpräsident hatte sich damit einen Referenten ausgesucht, der nicht nur allen Ernstes versichert, alle Menschen auf diesem Planeten stammten von Adam und Eva ab. Scherer behauptet auch, besonders bizarr für einen Mikrobiologen mit Lehrstuhl an der TU München, der Tod sei als ‚Folge des Sündenfalls‘ in die Welt gekommen. [...]“ (144)

Beispiel B, 3. Textauszug (SZ) (Herv. d. Verf.)

[Zwischenüberschrift: Im akademischen Gewand]

[...] „Unstrittig ist, dass Junker und Scherer die Botschaft ihrer amerikanischen Mitstreiter weitertragen. Bisher ist das Buch in keinem Bundesland als offizielles Lehrmittel zugelassen. ‚Das haben wir zum Glück verhindert‘, sagt Kutschera, der derzeit Vizepräsident des VdBiol ist. ‚Weil [...] Althaus das Buch lobte und der akademische Ruf Scherers Gewicht versprach, musste man ernsthaft befürchten, dass das Buch für Schulen zugelassen werden könnte‘, sagte er. Weil in Deutschland in der Oberstufe Lehrmittelfreiheit herrscht, konnte der VdBiol jedoch nicht verhindern, dass das Lehrbuch an Schulen verwendet wird. Kutschera berichtet von Schulen, in denen das Buch im Biologieunterricht ergänzend eingesetzt wird, oder zumindest in der Schulbibliothek steht. [...]“

[Zwischenüberschrift: Subtile Unterwanderung]

[...] „Andernorts fürchtet Kutschera eine ‚subtile Unterwanderung der Wissenschaft‘.
Kreationistische Thesen in scheinbar wissenschaftlichem Gewand vertritt etwa das Professorenforum des Mathematikers Peter Zöller-Greer, der an der FH in Frankfurt lehrt. So hat im Professorenforum Journal mehrfach der prominente William Dembski, Senior Fellow am Discovery Institute, ein Forum gefunden. Ob das Netzwerk private Meinungen äußert oder im Namen akademischer Institutionen gesprochen wird – die Grenzen sind schwer zu erkennen. Scherer tritt auch als Professor der TU München auf. [...] In ‚Der Fall des Affenmenschen‘, einem Film des Evolutionsgegners Fritz Poppenberg, spricht er in einem Hörsaal vor Studenten und wird als Professor der Universität München vorgestellt. Poppenberg lässt in seinem Film auch Wolf-Ekkehard Lönnig zu Wort kommen, einem Genetiker am Kölner Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung. Lönnig sorgte vor zwei Jahren für Aufregung unter Biologen: Auf der Homepage seines Instituts hatte er fast 1000 Seiten veröffentlicht, auf denen er Kritik an der ‚herrschenden neodarwinistischen Abstammungslehre‘ übte und eine von Intelligent Design inspirierte Theorie postulierte. Dort warb er auch für das Buch von Scherer und Junker. [...] Seine Kritiker warfen ihm vor, den Internetauftritt des Instituts zu nutzen, um seine Hypothesen als Wissenschaft und nicht als von seiner Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas motivierte Weltanschauung zu präsentieren. Schließlich wurden die Seiten vom Instituts-Server genommen. [...] Das Vorgehen von Lönnig habe Methode, kritisiert Kutschera. ‚Es ist Taktik von Kreationisten und Anhängern von Intelligent Design, dass sie ihren Schriften einen wissenschaftlichen Schein verpassen und sie im Umfeld von Forschungsinstituten oder Universitäten präsentieren.‘ Mit dieser Strategie finden die Neokreationisten in Deutschland Gehör: Wenn ein Schüler etwa ein Referat zur Evolution vorbereiten soll und in der Schulbibliothek ‚Evolution – Ein kritisches Lehrbuch‘ entdeckt, ist es wahrscheinlich, dass er sich allein von der akademischen Autorität des Professorentitels Scherers blenden lässt. Noch dazu hat das Werk einen Schulbuchpreis gewonnen und ein ehemaliger Kultusminister und heutiger Ministerpräsident hat eine Lobesrede darauf gehalten.“


In nahezu der gesamten Artikelserie der Süddeutschen Zeitung wie auch im Spiegel erfährt der Leser nichts über die tatsächliche inhaltliche Auseinandersetzung zwischen Intelligent Design und der Evolutionslehre. Stattdessen machen die Spiegel-Redakteure sowie der Autor des Artikels in der Süddeutschen Zeitung die eigene Sicht beziehungsweise die Stellungsnahmen der einschlägig ausgewählten Evolutionsbiologen zum Maßstab der Bewertung.29 In beiden Artikeln verbreitet sich der Argumentationsnebel von der „versteckten christlichen Mission“, dem „Missbrauch akademischer Titel und akademischer Institutionen“ zum „Blenden“ von Schülern und Politikern, die „Umtriebe der Discovery-Leute“, die Kolonialisierung der Schulbibliotheken durch evolutionskritisches Gedankengut sowie die „Politisierung“ der Evolutionskritik, kurzum: die Konstruktion einer umfassenden Verschwörungstheorie der „subtilen Unterwanderung der Wissenschaft“ mit all ihren Folgen für das Bildungssystem. Die wissenschaftliche Arbeit von Junker und Scherer wird als „Pseudo-Lehrbuch“ diskreditiert, die Nennung von Religionszugehörigkeit und bruchstückhaften Passagen aus Glaubensbekenntnissen genügen, um anerkannte Wissenschaftler mit entsprechender Reputation als nicht sachkundig zu diffamieren. Hinzu kommt, daß man von der Sachebene ablenkt, indem über Religionszugehörigkeiten Ressentiments und Vorurteile bedient werden. Diese Vorgehensweise impliziert, daß „normale“ Wissenschaftler, Anhänger der Evolutionstheorie, völlig unvoreingenommen und immer objektiv seien.30 Andererseits machen viele ID-Wissenschaftler aus ihrem Glaubensbekenntnis gar kein Geheimnis. In der Intelligent-Design-Berichterstattung wird nicht zwischen Motiv und wissenschaftlicher Argumentation unterschieden. Es genügt beispielsweise zu glauben, daß die Bibel Gottes Wort ist, um als nicht diskursfähig zu gelten.

Berücksichtigt man abschließend die legitimierenden Leitbilder der Artikelserie in der Süddeutschen Zeitung wie auch im Spiegel, wird sehr schnell deutlich, daß sich im evolutionären Paradigma das naturalistische Weltverständnis der Moderne spiegelt. In zahlreichen Artikeln wird nicht objektiv recherchiert, sondern das herrschende Paradigma31 als Tatsache deklariert und wissenschaftliche Evolutionskritik für hinfällig erklärt.32

Die Spiegel-Botschaft repräsentiert hier, wenigstens partiell, die kulturellen Deutungskonzepte einer säkularisierten Gesellschaft. Die Redakteure unterlegen ihren Artikel mit Zitaten von bekannten Evolutionstheoretikern und schließen in einem umfassenden Interview mit dem amerikanischen Philosophen und Atheisten Daniel Dennett, der als einer „der extremsten Anhänger der Evolutionslehre“ gilt.

E4 Legitimierende Leitbilder (inhaltlich-ideologische Aussagen)
Beispiel A, Spiegel-Zitate (Auswahl)

„Solche offenen Fragen ändern nichts daran: In der gesamten Wissenschaft sei ‚nichts fester etabliert, nichts erhellender als das universelle Geschehen der biologischen Evolution‘, schreibt Wilson im Nachwort der jüngsten Neuauflage von Darwins gesammelten Werken. Selbst Relativitäts- und Quantentheorie reichten nicht heran an die Evolutionstheorie als ‚vielleicht größte intellektuelle Revolution, die die Menschheit erlebt hat‘, meint Wilsons Kollege Ernst Mayr, der Anfang des Jahres im Alter von 100 Jahren starb. Längst ist Darwins große Idee zum Herzstück jeglichen modernen Naturverständnisses geworden. ‚Nichts in der Biologie ergibt Sinn, außer im Lichte der Evolution‘, so dozierte der große russisch-amerikanische Naturforscher Theodosius Dobzhansky. [...] Der Einzige, der eine Schöpfungsgeschichte geschrieben hat, deren Wahrheitsgehalt sich mit den Mitteln der Naturwissenschaft prüfen lässt, ist jener Engländer, um den jetzt der Kulturkrieg in den USA tobt. [...] Charles Darwin [...].“ (138 f.)

Auszüge aus dem Spiegel-Gespräch: „,Süßigkeit für den Geist‛. Der US-Philosoph Daniel Dennett über Darwins umstürzlerische Idee, den Ursprung der Seele und die Vertreibung Gottes durch die Naturwissenschaft.“

„[...] Dennett: (...) Ich habe zum Beispiel gerade ein Buch abgeschlossen, in dem ich Religionen evolutionsbiologisch betrachte. Ich glaube, diese Forschung kann, sollte und muss man treiben. Andere sagen: Bloß nicht, lass die Biologen nicht an die Sozialwissenschaften heran! Ich finde das schrecklich. Die Vorstellung, die Humanwissenschaften seien vor evolutionärem Denken zu schützen, ist für mich die Anleitung zum Desaster.

Spiegel: Warum?

Dennett
: Weil gerade die Evolutionslehre die Welt der Bedeutung, des Sinns, der Ziele und der Freiheit mit der Welt der Naturwissenschaften vereint. Da wird immer von der Kluft zwischen Geistes- und Naturwissenschaft geredet. Und wer schließt diese Kluft? Darwin, indem er uns zeigt, wie Sinn, Design und Bedeutung aus Sinnlosem, aus stupider Materie, entstehen. [...]

Spiegel
: Nietzsche zog den Schluss, Gott sei tot. Auch das eine Konsequenz aus Darwins Lehre?

Dennett
: Eindeutig. Dass es in der Welt Design gibt, war immer das stärkste Argument für die Existenz Gottes – und Darwin hat dem den Boden entzogen.

Spiegel
: Evolution ist also mit einem Gott unvereinbar?

Dennett
: Man muss doch sehen, dass Gottes Rolle seit Äonen schrumpft. Anfangs wurde er noch für Adam und Eva gebraucht, dann hieß es, er habe die Evolution ins Rollen gebracht. Die Erkenntnisse der Kosmologie zeigen uns jedoch: Leben entwickelt sich überall dort, wo es kann. Gott kann keine neuen Arten erschaffen, er vollbringt keine Wunder, er passt auf keine Stellenausschreibung. [...] Es gibt da draußen niemanden, dem ich danken könnte.

Spiegel
: Sie sagen, Gott passe auf keine Stellenausschreibung. Wieso haben dann bis heute so gut wie alle Kulturen Religionen?

Dennett: Zum Teil erklärt sich das aus der Geschichte: Religionen sind außergewöhnlich gut angepasste Kulturphänomene, die sich entwickeln, um zu überleben.

Spiegel
: Wie eine biologische Art?

Dennett
: Genau. Das Design einer Religion entsteht auf die gleiche seelenlose Weise wie das Design von Pflanzen und Tieren. [...]“ (148-150)

b) Schule und Evolutionstheorie

„Nicht zugelassene Unterrichtsmaterialien“: Grenzüberschreitungen – Interventionen – Legitimationen

Im Mittelpunkt der obengenannten Arte-Reportage von Moers und Papenbrook steht die Botschaft, daß der „Kreationismus“ nun auch im deutschen Bildungswesen angekommen sei. An Beispielen der christlichen August-Hermann-Francke Privatschule (AHF) und des staatlichen Liebig-Gymnasiums (LG) in Gießen demonstrierten die Reporter, wie weit „christliche Fundamentalisten“ schon bei ihrer „Unterwanderung deutscher Schulen“ vorangeschritten sind. Moers und Papenbrook lassen dabei umfassend eine Familie zu Wort kommen, deren Kinder in der AHF unterrichtet wurden. Die Eltern sahen die Kinder in ihrer Meinungsbildung beeinflußt, da sie lernten, daß sie der Evolutionstheorie zumindest mißtrauen sollten. Sie nahmen ihre Kinder daraufhin von der Schule. Wolfgang Meyer, Biologielehrer der Liebigschule, erklärt: „Ich stelle den Schülern im Biologieunterricht beide Modelle vor, die Evolutionstheorie und die Schöpfungslehre. Sie sollen sich mit beiden Theorien auseinandersetzen.“ Reinhard Junker von der Studiengemeinschaft „Wort und Wissen“ verweist darauf, daß wir „hier mit der Evolutionslehre groß“ werden, „sie scheint uns die selbstverständliche Sicht der Dinge. Doch es muß erlaubt sein, nachzufragen und kritisch zu hinterfragen“. Zwei schulkritische Familien und ein Lehrer repräsentieren in der Reportage die Eltern und Lehrerschaft beider Schulen, hier finden sich die filmisch wirkungsvoll in Szene gesetzten Erfolgsbelege der „fundamentalistischen Glaubenskrieger“ an deutschen Schulen.

Die Welt titelt als Reaktion auf den Arte-Beitrag wie folgt: „‚Die machen, was sie wollen.‘ In Gießen reden evangelikale Lehrer ihren Schülern die Evolutionslehre aus, weil sie die Schöpfungsgeschichte für einzig wahr halten. Proteste ignorieren sie.“ Zum Fall Meyer schreibt Roland Mischke in seinem Artikel:

„[...] Nicht nur im privaten Schulbereich, auch an der staatlichen Liebigschule in Gießen. Dort lehrt der Biologie- und Chemielehrer Wolfgang Meyer. Als Mitglied einer evangelikalen Freikirche ließ er gegenüber Schülern durchblicken, dass er Darwins Evolutionslehre für falsch hält. In den letzten Monaten beharrte er im Unterricht in drängendem Ton auf der biblischen Schöpfungsgeschichte als einziger Wahrheit. In einem Film des TV-Senders Arte gab Meyer Mitte September zu, ein Lehrbuch zu verwenden, das die Darwinsche Theorie diskreditiert. Nun wird geprüft, ob der Biologielehrer gegen den Lehrplan verstoßen hat. Die Gießener Schulamtsleitung erklärte, der Fall Meyer werde auf dienstrechtlichem Wege geklärt. Zwar lasse der Lehrplan eine Ergänzung um kontroverse Theorien zu, aber die Schöpfungsgeschichte gehöre nicht ins Fach Biologie. Über Jahre kümmerte sich die Kollegenschaft offenbar nicht darum, was Meyer im Unterricht darlegte. [...]“

Einmal abgesehen von der Frage, wie ein differenzierter Biologieunterricht zur Evolutionstheorie in der Schule aussehen könnte, erinnert der Ton des Artikels doch mehr an das Geständnis einer Straftat, die hätte vermieden werden können, wenn die Kollegen doch aufgepaßt hätten. Ergänzend hierzu möchte auch Mischke nicht auf die Argumentationsmuster der Story line „Wissenschaftsfeinde“ verzichten:

„[...] Kreationisten lehnen Darwins Theorie, der Mensch habe sich aus dem Tier entwickelt, entschieden ab. Für die konservative Fraktion der Republikanerpartei ist das Teil ihres Programms, selbst Präsident George W. Bush erklärte, Schüler sollten die Möglichkeit haben, beide Lehren kennen zu lernen. Der Kulturkampf, der nun auch in Deutschland auf die Schulen übergreift, wird vonseiten der Kreationisten nicht offen geführt. Sie unterminieren und setzen dabei ihre einschüchternde Autorität ein. Sie sind Pädagogen, betreiben aber Missionsarbeit. [...]“33

Auch Heinrich Halbig von der Stuttgarter Zeitung verbindet die große Erzählung mit dem schulischen Fall im Besonderen:

„In den USA besitzt der Kreationismus zahlreiche Anhänger, [...]. In Deutschland scheint er sich langsam zu verbreiten, mit tatkräftiger Unterstützung einiger Biologielehrer. Einige Pädagogen jedenfalls versuchen, über den Biologieunterricht dieser Schöpfungslehre, die den christlichen Gott als Erschaffer der Welt ins Zentrum stellt, eine Basis zu geben. In Gießen sind es ein staatliches Gymnasium und eine christliche, gleichwohl staatlich unterstützte Privatschule, in denen sich jeweils ein Lehrer zu den Kreationisten bekennt. Dahinter verbergen sich christliche Fundamentalisten, die die Evolutionstheorie Charles Darwin als Lüge bezeichnen. [...] Das hessische Kultusministerium hat eine Untersuchung anberaumt und lässt derzeit an dem Gymnasium überprüfen, ob der Lehrer gegen den Lehrplan verstoßen habe. Immerhin soll er nicht zugelassene Unterrichtmaterialien verwendet haben. [...] Dessen ungeachtet sieht der Gießener SPD-Landtagsabgeordnete Thorsten Schäfer-Gümbel nach öffentlichen Diskussionen in Gießen und Vorwürfen von Eltern nach wie vor ‚erheblichen Aufklärungsbedarf‘. ‚Die Debatte hat erst begonnen‘, erklärt er. [...] Die Kreationisten, meist streng gläubige Christen, geben ihrer Lehre unter dem Begriff ‚intelligent design‘ gern einen wissenschaftlichen Anstrich. [...]“34

Im Diskurs „Biologieunterricht an deutschen Schulen“ werden in den Medien im allgemeinen weder die fachdidaktischen und inhaltlichen Probleme der Ursprungslehren, noch das Wissenschafts- und Selbstverständnis der betroffenen Lehrer ausgewogen thematisiert. „Christlicher Fundamentalismus“, „Kreationismus“ und „Intelligent Design“ dienen auch hier in ihrer undifferenzierten Darstellung als Modi der Resonanzerzeugung, welche wiederum auf die gängigen medial stabilisierten Bedeutungsmuster bezogen werden. Mit wertenden Begriffen wie „unterminieren“, „einschüchternde Autorität“ und „wissenschaftlichen Anstrich“ gelten die Motive der kritischen Akteure als ausgemacht und werden redaktionell ganz im Sinne der Unterwanderungslogik der Story line „Wissenschaftsfeinde“ negativ konnotiert angelegt. Die neuen Rollen der so stigmatisierten Anti-Helden des Subdiskurses „Schuldebatte“ nehmen nun die „evolutionskritischen“ Biologielehrer ein. Die Festlegungen der Wert-Gegensätze erfolgen über die Diskurskoalitionen der Schulaufsichtsbehörden, einzelner Politiker und Vertreter wissenschaftlicher Fachverbände. Schulamtsleitungen und Landtagsabgeordnete (Helden) definieren hier in ihren gesellschaftlich legitimierten Sprecherfunktionen die Anti-Helden. Die von Schäfer-Gümbel angemahnte Debatte kann in diesem Kontext nur eine politische, jedoch keine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Grundproblematik des Konflikts bedeuten.

Die Realitätsdefinitionen der Arte-Reportage wie auch die Rede von „nicht zugelassenen Unterrichtsmaterialien“ können in ihrer politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Bedeutung und Wirkung erst dann richtig erfaßt werden, wenn sie im Zusammenhang mit der im November 2002 gehaltenen Laudatio des Thüringer Ministerpräsidenten Dieter Althaus auf die Empfänger des „Deutschen Schulbuchpreises“, Siegfried Scherer und Reinhard Junker, betrachtet werden. Die würdigenden Worte eines politischen Repräsentanten bei der Preisverleihung an die Autoren des 2006 schon in der 6. Auflage erschienenen Werkes „Evolution – Ein kritisches Lehrbuch“ erzeugen noch bis in die Gegenwart ein negatives Medienecho. Im Online-Beitrag zu der im November 2005 ausgestrahlten ZDF-Sendung Frontal 21 heißt es unter dem Titel „Missionieren gegen Darwin. Kreationisten verbreiten in Deutschland Zweifel an der Evolutionstheorie“:

„Christliche Fundamentalisten sagen der Evolutionstheorie auch in Deutschland den Kampf an. Die Evolutionskritiker sind mit einem Schulbuch des Münchner Mikrobiologen Siegfried Scherer auf Mission und verbreiten ihre Ideen vom Schöpfergott in Vorträgen und Videos. Ihr Ziel offenbar: Die Schöpfung nicht mehr als Glaubenssache, sondern als Tatsache in die Lehrpläne zu heben – und Darwins Theorie als unwahr zu diffamieren. In den USA haben die Anhänger des biblischen Schöpfungsglaubens erreicht, dass ihre Idee vom göttlichen Ursprung der Arten und des Menschen im Biologieunterricht gelehrt wird. US-Präsident George Bush tritt für den Schulunterricht in ‚Intelligent Design‘ ein, einer als Wissenschaft ausgegebenen Schöpfungslehre. [...] Althaus hofft auf Leser. Für die Laudatio der Preisverleihung an Scherer gewinnt Ellinghaus einen Spitzenpolitiker: den heutigen Ministerpräsidenten von Thüringen, Dieter Althaus. In seiner Preisrede sagte er: ‚Ich hoffe deshalb, dass Ihr Buch nicht nur von den Biologielehrern für den Unterricht verwendet wird, sondern auf eine weit darüber hinaus gehende Leserschaft trifft.‘ [...]“35

Mit der Laudatio von Dieter Althaus vollzieht sich in Deutschland die Politisierung der Evolutionskritik durch die Medien. In seiner Person hat die Presse ihr politisches Pendant für US-amerikanische Verhältnisse gefunden. Jetzt können die Realitätsdefinitionen und Wissenspolitiken entsprechend der großen Erzählung komponiert werden: für die USA werden die Tonleitern mit den „Umtrieben der Discovery-Leute“ (Bsp. A, 3. Textauszug) notiert und hierzulande lesen wir die Akkorde vom „Kreuzzug“ eines Kuratoriums von „konservativen Christen“ (LDEZ) mit der ihnen eigenen „Waffe“ des „Deutschen Schulbuchpreises“ (Bsp. B, 1. Textauszug), jenseits des Atlantiks die Tonfolgen des „US-Präsidenten“ und diesseits in Thüringen die Strophe des Ministers. Fortan wird Althaus zum Anti-Helden der Presseberichterstattung, welcher den „Kritikern der Evolutionslehre ein Forum“36 bietet. Er wird zur medial vermittelten Symbolfigur, in deren Bedeutungskonstruktion einerseits die Naturwissenschaften in die Politik abgleiten und andererseits der „Etappensieg für die Bibelfrommen“37 öffentlichkeitswirksam in die große Erzählung von der Schulbedrohung durch die „Kreationisten“ aufgenommen wird. So lesen wir beispielsweise in der TAZ unter dem Titel „Ein Forum für Kreationisten“:

„Kopfschütteln und Unverständnis ist meist die Reaktion, wenn man die neuesten Meldungen über den Vormarsch der Kreationisten in den USA liest. [...] Doch auch in Deutschland gibt es prominente Politiker, die den Kreationisten ein Forum schaffen wollen. [...] Schon damals sagte Althaus, der bei der Preisverleihung die Laudatio hielt, das Buch sei ein ‚sehr gutes Beispiel für werteorientierte Bildung‘.“38

Dieses häufig in den Medien zitierte Althaus-Lob hat dann schließlich auch den Verband deutscher Biologen (VdBiol) auf den Plan gerufen und zu drastischen Interventionen bewegt. Unter der Federführung des Präsidenten Hans-Jörg Jacobsen und des Pflanzenphysiologen Ulrich Kutschera wurde ein Brief an die Kultusminister der einzelnen Bundesländer versandt. Die Erfolgsmeldungen Kutscheras über die daraufhin erfolgte Nichtzulassung des Buches für den Schulunterricht finden sich dann auch in vielen Artikeln und Interviews39 wieder (vgl. Bsp. B, 3. Textauszug). In Focus-Schule heißt es beispielsweise:

„[...] Der Verband Deutscher Biologen warnte daraufhin die Kultusminister davor, dieses ‚ideologisch motivierte Buch‘ zur Ausbildung zuzulassen. Der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) pries es dennoch als ‚sehr gutes Beispiel für werteorientierte Bildung‘. Obwohl das Buch nicht für den Unterricht zugelassen ist, finden es und andere Lehrmaterialien von ‚Wort und Wissen‘ immer wieder Zugang zu Schulbibliotheken – als Spende interessierter Eltern. ‚Das Material ist auf den ersten Blick gut gestaltet, viele Schuldirektoren denken sich gar nichts dabei, zumal einer der Autoren Professor für Mikrobiologie an der TU München ist‘, sagt Ulrich Kutschera.“40


Auch der englischsprachige Raum muß erfahren, daß die „Kreationisten“ und „Intelligent Design“ in deutschen Schulen angekommen sind und die „Bedrohung“ gerade noch abgewendet werden konnte. So berichtet U. Kutschera in Reports:

„[...] In the corresponding press release, a high-ranking politician, Dieter Althaus [...] recommended this ‚excellent‘ book for use in public schools. In response to this promotion of ‚intelligent design‘ creationism, the president of German Biologists, Hans-Jörg Jacobsen, sent a letter to the 16 Ministers of Education and cultural Affairs of the German Federal States (Bundesländer) and asked them not to place this book on the official list of biology textbooks. All 16 ministers responded positively and pledged not to recommend the ‚award-winning‘ Junker / Scherer text for public schools. This latest attempt by members of the German anti-evolution movement to incorporate their theistic version of biology into science classes demonstrates that creationism is not only a problem in the United States, but also in some European countries.“41

Was bedeutet diese öffentliche Herabsetzung eines kritischen Sachbuches, noch dazu verfaßt von einem wissenschaftlich anerkannten Mikrobiologen und Fachkollegen? So ist der Beobachter dieses Szenarios geneigt zu fragen, worum es hier wirklich geht. In der ganzen Story line „Schulbuchdebatte“ bleibt der Inhalt des Buches völlig undiskutiert. Die überwiegende Anzahl der Medien scheinen sich für den Tiefensinn der Debatte gar nicht zu interessieren. Die Unbehaglichkeiten an diesem Thema fielen allerdings schließlich doch auch einigen Lesern auf, welche sich in Briefen, beispielsweise an die Süddeutsche Zeitung, zu Wort meldeten. So auch der Brief eines 80jährigen emeritierten Professors für Mikrobiologie, welchen ich in Auszügen wiedergeben möchte:

„[...] Betrachten wir den Artikel von Sebastian Herrmann etwas näher. Im Zentrum steht das Buch von Junker und Scherer in seiner 4. Auflage. Über die drei ersten Auflagen kann man streiten. Da wollten zwei junge zornige Männer nachweisen, dass Evolutionstheorie falsch ist; vermutlich um daraus zu folgern, dass Gott lebt. [...] Die 4. Auflage geht andere Wege. Zu jedem Abschnitt erläutert Scherer zunächst professionell und sachkompetent die Auffassung der Biologen. Danach folgt ein Abschnitt ‚Grenzüberschreitungen‘, in dem Scherer seine Sicht der Dinge darstellt. Was ist zu beanstanden, wenn jemand beide Seiten eines Streitfalles fair und umsichtig auseinander fieselt? Bestenfalls kann man einwenden, dass der Titel ‚Grenzüberschreitung‘ unpräzise sei. [...] Na ja, und dann empört sich Herrmann darüber, dass ein Thüringer Kultusminister das Buch lobt. Wo, bitte, liegt hier ein Problem? Offensichtlich darin, dass das Buch in einer Schulbibliothek stehen könnte: dann bestünde (vielleicht) die Gefahr, dass sich ein Schüler ‚blenden‘ lässt. Okay, wäre Scherer Fachmann für Pornographie, müsste man die Sorge wohl teilen. Wenn die Gefahr aber nur darin besteht, dass ein Schüler bei seinem Glauben bleiben könnte, bin ich jedenfalls äußerst gelassen.“42

Allerdings wurde die pädagogische Offensive der Evolutionskritiker vom Verband deutscher Biologen alles andere als „gelassen“ beurteilt. Mit der erreichten Nichtzulassung des besagten Lehrbuches wurden nun die evolutionskritischen Biologielehrer unter Generalverdacht gestellt. Die Folgen und Wirkungen der VdBiol-Intervention zeigen sich wiederum auch aktuell in der eingangs erwähnten Arte-Reportage zum Biologieunterricht an zwei Gießener Schulen. Die Konsequenzen und Machtwirkungen des Diskurses sowie die „Aufklärungsbemühungen“ durch die zuständigen Schulbehörden spiegeln sich dann auch schnell in der Presse wider. Ich schließe dieses Kapitel mit den Absichtsbekundungen des gemaßregelten Lehrers, einem Textauszug aus der Offenbach Post mit dem „beruhigenden“ Titel „Bio-Lehrer will sich zurückhalten“:

„Drei Wochen nach dem Aufkommen von Vorwürfen wegen angeblich fundamentalistischer Lehren an zwei Gießener Schulen hat das Schulamt seine Überprüfungen abgeschlossen. Der betroffene Lehrer des staatlichen Liebig-Gymnasiums habe zugesagt, Äußerungen zu Glaubensfragen, die missverstanden werden könnten, künftig zu unterlassen, sagte der Leiter des Gießener Schulamts, Heinz Kipp. Der Pädagoge hatte in einem Beitrag des Fernsehsenders Arte erklärt, in Biologie neben der Evolutionstheorie auch die Schöpfungslehre zu thematisieren und ein nicht zugelassenes Lehrbuch zu verwenden. Das Buch werde nicht mehr eingesetzt, sagte Kipp. [...]“43

c) Politik und Fachdiskussion

Einladungen – Ausladungen: „Der Erfurter Dialog“

Fast drei Jahre sind vergangen. Nach der in der Medienarena öffentlich vollzogenen Entwertung der Althaus-Laudatio auf das Schulbuch von Junker und Scherer trägt eine Pressemitteilung der Thüringer Staatskanzlei den Titel: „Erfurter Dialog. Streitgespräch zwischen Kutschera und Scherer“. Darin hieß es:

„Der ‚Erfurter Dialog‘ zur Evolutionslehre findet am 23. Januar 2006 statt. Ministerpräsident Dieter Althaus hat zu diesem Streitgespräch den Kasseler Evolutionsbiologen Prof. Dr. Ulrich Kutschera und den Münchener Mikrobiologen Prof. Dr. Siegfried Scherer eingeladen. Beide Wissenschaftler haben ihre Teilnahme zugesagt. [...] Regierungssprecher Uwe Spindeldreier sagte zur Erläuterung: ‚Längst nicht immer vertreten die prominenten Gäste die Auffassungen des Ministerpräsidenten oder der Landesregierung. Die „Erfurter Dialoge“ sind ein Forum zur Auseinandersetzung über Fragen unserer Zeit, und das auf hohem Niveau.‘ Spindeldreier widersprach damit der Unterstellung der PDS, die Staatskanzlei wolle ‚fundamentalreligiöse Weltbilder propagieren‘. ‚Es geht um ein Streitthema, das nicht nur die deutschen Feuilletons bewegt. Von vornherein Denkverbote zu erteilen, wie es gestern die SPD und heute die PDS versucht haben, widerspricht der Auffassung der Landesregierung von einem offenen Diskurs in einer freiheitlichen Gesellschaft.‘“44

In einem Interview mit Dieter Althaus in der Märkischen Allgemeinen wird die Intention des Ministerpräsidenten für den geplanten „Erfurter Dialog“ nochmals deutlich:

„Die Evolutionstheorie von Charles Darwin wird teilweise zu einer Ideologie gemacht, die einen Glauben an Gott ausschließt und behauptet, alles erklären zu können. Davor warnt Ministerpräsident Dieter Althaus erneut in einem Interview mit dieser Zeitung. Er sieht die Gefahr, dass in Deutschland ‚Denkverbote‘ aufgestellt werden sollen, die ihn an die DDR-Zeit erinnern. ‚Ich möchte offen diskutieren können, wie sich Evolutionstheorie und christlicher Glaube vereinbaren lassen.‘ [...]“45

Vor dem Hintergrund der Schulbuchdebatte ist der Wunsch von Althaus nach einer öffentlichen Diskussion nachvollziehbar, insbesondere auch deshalb, weil er mit der Einladung von Kutschera und Scherer, beide Autoren je eines Buches zur Evolution, eine wirklich echte Kontroverse zu einem sensiblen Thema für den „Erfurter Dialog“ hätte veranstalten können. Es ist Althaus zugute zu halten, daß er trotz des Debakels um seine Laudatio einen zweiten Anlauf mit Scherer wagte. Wie jedoch schon aus der Pressemitteilung hervorging, gab es im Vorfeld der Planungen zum Erfurter Dialog wegen der Einladung von Siegfried Scherer heftige Auseinandersetzungen. Politik und Presse reagierten entsprechend negativ: in Spiegel-Online lesen wir unter der Überschrift „Evolutionsdebatte. CDU-Politiker Althaus bietet Kreationisten ein Forum“:

„[...] In den USA kämpfen sie seit Jahren darum, die Darwinsche Lehre aus den Schulbüchern zu verbannen oder wenigstens die biblische Schöpfungsgeschichte als gleichwertig zu lehren – im Biologieunterricht, nicht etwa in Religion, denn dieses Fach gibt es an öffentlichen Schulen der USA nicht. Dort ist der Streit ‚Darwin versus Bibel‘ längst ein erbitterter Kulturkampf, was man in deutschen Wissenschaftskreisen verblüfft oder amüsiert zur Kenntnis nimmt. Ernsthaft beschäftigen sich deutsche Forscher bislang kaum mit den Forderungen der Kreationisten. Nun aber bietet Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) ihnen ein Forum. Althaus [...] plant eine Veranstaltung der Reihe ‚Erfurter Dialog‘, bei der Kreationisten und Evolutionsforscher über die verschiedenen Ansätze diskutieren sollen. Dazu gebe es schließlich ‚kein abgeschlossenes wissenschaftliches Konzept‘, erklärte Althaus im Magazin ‚Stern‘. Der amtierende Ministerpräsident will zum Forum auch Siegfried Scherer einladen. Der Münchner Mikrobiologe war zuletzt in die Schlagzeilen geraten, als er vor drei Jahren mit dem Schulbuch ‚Evolution – ein kritisches Lehrbuch‘ den deutschen Schulbuchpreis gewann [...].“46

Die Bewertungen und Bezugnahmen in den Presseberichten vollziehen sich auch im Subdiskurs „Erfurter Dialog“ nach gewohnten Strickmustern. Daß sich Kutschera überraschend schnell, einen Tag vor dem Erscheinen der Pressemitteilung, einschlägig zu Wort meldet, irritiert ein wenig, zumal dieser doch als Gesprächspartner zugesagt hatte:

„[...] Dass sich Althaus für die Evolutionskritiker engagiere, sei eine ‚Katastrophe‘, sagte der Kasseler Biologieprofessor Ulrich Kutschera dem Stern. Auch von den Liberalen kommt Kritik. Althaus’ Äußerungen seien ‚nicht nachvollziehbar‘, so FDP-Abgeordnete Cornelia Pieper, Vorsitzende des Forschungsausschusses im Bundestag, zum Stern.“47

Letzten Endes kam es zu Änderungen in der personellen Besetzung der Diskussionsveranstaltung. Die Begründung für die Ausladung Scherers wurde in den Medien widersprüchlich wiedergegeben und interpretiert. In der Jungen Welt war davon die Rede, daß „erst nach massiver Kritik der Opposition, warnenden Stimmen in der Öffentlichkeit und zahlreichen Berichten in den überregionalen Medien“ die Staatskanzlei beschloß „das Konzept des ‚Erfurter Dialogs‘“ zu ändern.48 In der Märkischen Allgemeinen hieß es dagegen:

„[...] Über die Veranstaltung gab es im Vorfeld eine heftige Debatte, da neben dem Evolutionsbiologen Ulrich Kutschera auch der Evolutionskritiker Siegfried Scherer auftreten sollte. Althaus fördere christlichen Fundamentalismus, so der Vorwurf. Kutschera sagte ab, Scherer wurde ausgeladen. Nun wird der Wissenschaftshistoriker Uwe Hoßfeld mit zwei Theologen sprechen. [...]“49

Im Deutschlandradio Kultur verlautet am 23. Januar 2006 unter der dem Beitragstitel „Thüringens Ministerpräsident Althaus verteidigt Ausladung von Wissenschaftler bei Podiumsdiskussion“ folgende Meldung:

„Dieter Althaus hat sich mit der heute Abend in Erfurt stattfindenden Podiumsdiskussion zum Spannungsfeld zwischen Evolutionstheorie und Schöpfungsgeschichte schon im Vorfeld Kritik eingehandelt. Zunächst wurde dem thüringischen Ministerpräsidenten vorgeworfen, christlichen Fundamentalisten eine Plattform zu geben. Als einer der Vertreter der ‚Intelligent Design‘-Theorie, der Münchner Mikrobiologe Siegfried Scherer, dann wieder ausgeladen wurde, war von Zensur die Rede. Jetzt wehrt sich Althaus gegen die Vorwürfe. Im Deutschlandradio Kultur sagte er, Scherer sei nur deshalb ausgeladen worden, weil sein Antipode, der Wissenschaftler Ulrich Kutschera, vorher abgesagt habe. Da die derzeitige öffentliche Diskussion aber vor allem durch diese beiden getragen werde, habe eine Teilnahme Scherers keinen Sinn mehr gehabt. Im Übrigen seien Glaube und Wissenschaft durchaus miteinander vereinbar.“50

In einem Interview mit dem Laborjournal wurde Kutschera mit der Frage konfrontiert, „ob man sich als Wissenschaftler der öffentlichen Diskussion mit Kreationisten stellen“ soll „oder eher nicht“, worauf dieser antwortete:

„Das ist ein delikates Problem. Ich habe vor kurzem das Angebot abgelehnt, in Erfurt öffentlich mit dem Herrn Kollegen Scherer zu diskutieren. Ein solcher Dialog hätte nur signalisiert, dass unsere Ansichten gleichwertig sind. Das hätte mehr Schaden als Nutzen gebracht. Ich halte öffentliche Diskussionen für kontraproduktiv, weil beim Laien die Botschaft hängen bleibt, dass innerhalb der Biologie über die Evolution gestritten würde, was nicht stimmt.“51

Kutschera teilt diese Sicht der Dinge auch mit vielen anderen Evolutionsbiologen. So kommt beispielsweise in der bereits erwähnten Arte-Reportage von Moers und Papenbrook der bekannte Darwinist Richard Dawkins wie folgt zu Wort:

„Ich debattiere nicht öffentlich mit Kreationisten. Der Grund dafür ist, dass es ihnen Glaubwürdigkeit verleihen würde. Wenn ein Kreationist einen respektablen Wissenschaftler dazu bewegen kann, eine Debatte mit ihm zu führen, dann hat er bereits eine ganze Menge gewonnen. Er kann die Debatte zwar nicht gewinnen, weil die Beweise gegen ihn sprechen, aber er kann immerhin den Eindruck erwecken, dass es überhaupt eine Debatte zu dem Thema gibt. [...]Es ist keine echte Kontroverse. Und indem man öffentliche Debatten führt, erzeugt man den falschen Eindruck. Das ist der Grund, warum ich es nicht mache.“52

Wir möchten unser Augenmerk nochmals auf die Pressedissonanzen im Hinblick auf die personelle Umbesetzung des „Erfurter Dialogs“ richten. So lesen wir in Zeitwissen, unter der Bezugnahme auf die Einladung Scherers, folgende Bemerkungen von Kutschera:

„[...] Dafür hagelte es in Erfurt Schelte von Opposition, Lehrern und Wissenschaftlern, woraufhin die Staatskanzlei vergeblich versuchte, den Scherer-Antipoden Ulrich Kutschera aufs Podium zu holen. Scherer nahm im Oktober von einer Teilnahme Abstand. Kutschera hatte die Einladung nie angenommen. ‚Ich diskutiere doch nicht öffentlich mit einem Kurzzeit-Kreationisten‘, sagte er. ‚Scherer hat erst Anfang Oktober im Interview zugegeben, dass er glaubt, alle Menschen stammten von Adam ab. Man kann mit tief religiösen Menschen in der Öffentlichkeit nicht über Glaubenssätze diskutieren. Die würde man doch der Lächerlichkeit preisgeben.‘ [...]“53

Ergänzend hierzu titelt ein Beitrag von Martin Neukamm im Internetforum der AG Evolutionsbiologie, der hier gewissermaßen die Rolle von Kutscheras Sprecher einnimmt: „Thüringens Ministerpräsident (CDU) lädt Evolutionskritiker Scherer aus – Kutschera hält Scherers Positionen für nicht diskursfähig.“ Hierin finden wir folgendes interessante Zitat:

„[...] Wer die besseren Argumente habe, sei daher für den Kreationismus nicht entscheidend, vielmehr gehe es seinen Vertretern darum, die Grenze zwischen Wissenschaft und Glaube zu verwischen und letzteren zu einem Politikum zu machen. Zwar respektiert Kutschera grundsätzlich die Privatmeinung andersdenkender Menschen. Es sei jedoch nicht hinzunehmen, wenn Kreationisten versuchen, ihren Glauben (entgegen der Trennung von Religion und Staat) von einer Privatsache zu einer gesellschaftsrelevanten Angelegenheit zu machen bzw. mit einem wissenschaftlichen Anspruch aufzuwarten und Schöpfungslehren neben der Evolutionstheorie gleichberechtigt in die Wissenschafts- und Bildungslandschaft zu implementieren. Letztlich befürchtet Kutschera, dass man dem Kreationismus unter dem Strich mehr nützt als schadet, wenn man ihre Vertreter durch öffentliche Debatten immer wieder in die Schlagzeilen bringt, zumal er schon den Terminus ‚Evolutionskritik‘ für einen Unbegriff hält. [...]“54

Doch wie sind die widersprüchlichen Meldungen und Statements zu den Ein- und Ausladungen zu erklären? Die Tatsache der Presseerklärung zeigt, daß Kutschera zugesagt hatte. Ich habe mich nochmals beim persönlichen Referenten des Thüringer Ministerpräsidenten, Herrn Hermann Binkert, informiert, der mir die Zusage Kutscheras schriftlich bestätigte.55 Das bedeutet, daß Kutschera den Redakteuren von Laborjournal und Zeitwissen nicht die Wahrheit gesagt hatte. Was könnte Kutschera dazu veranlaßt haben? Wenn Neukamm nun das idea-Interview mit Scherer56 als Grund für die Nichtteilnahme Kutscheras am Erfurter Dialog angibt, erhält der ganze Sachverhalt unweigerlich einen etwas bitteren Beigeschmack. Denn es ist davon auszugehen, daß Scherers wissenschaftliche und religiöse Positionen Kutschera schon seit vielen Jahren bekannt sind. Vermutlich stand der medienerfahrene Biologe und „Experte für kreationistische Umtriebe“57 vor dem Dilemma, sich zwischen einer sehr renommierten Diskussionsveranstaltung einerseits und dem unter Evolutionsbiologen verbreiteten Konsens, nicht an öffentlichen Diskussionen mit Evolutionskritikern teilzunehmen, andererseits entscheiden zu müssen.

Mit der geplanten Veranstaltung „Erfurter Dialog“ hatte Dieter Althaus somit gleich zwei rote Knöpfe betätigt und einen Kurzschluß ausgelöst: mit dem ersten Knopf wollte er die Evolutionsbiologen und die Kritiker an einen Tisch bringen, eben zu einer öffentlich fachlichen Auseinandersetzung, und konfrontierte damit den Evolutionsbiologen Kutschera mit einem „delikaten Problem“. Mit dem zweiten Knopf hatte er die schon ohnehin über Intelligent Design negativ berichtenden Medien auf sich selbst gerichtet, so daß er in seiner politisch repräsentativen Funktion ins Zentrum der Kritik geriet. Das überwiegend ablehnende Medienecho muß hier einerseits vor dem Hintergrund der Politisierung der amerikanischen Intelligent-Design-Debatte bewertet werden, andererseits haben aber auch die über Jahre hinweg in den Medien wiedergegebenen einschlägigen Stellungnahmen und Wertungen einer ganzen Anzahl von Evolutionsbiologen zu diesen Überreaktionen beigetragen. Ich erinnere an dieser Stelle auch an das bezeichnende Wort „Katastrophe“ in Kutscheras Stern-Kommentar. Schon am Tag der Pressemitteilung wurde deutlich, daß die Evolutionsbiologen die öffentliche Diskussion nicht wirklich wollen konnten. Die Dissonanzen in den Medien verweisen schließlich darauf, daß vermutlich intern alle Beteiligten nach Mitteln und Wegen der Schadensbegrenzung suchten, mit dem Ziel, die ganze Veranstaltung umzubesetzen. Das Ergebnis war eine neu konzipierte weiche Debatte, in welcher sich nicht mehr Biologen gegenüberstanden, sondern zwei Theologen und ein Biologiehistoriker über das „Miteinander von Gott und Darwin“58 diskutierten.

Die Begebenheiten um den „Erfurter Dialog“ machen deutlich, daß es sich vermutlich in Deutschland zurzeit keine öffentliche Person mehr leisten kann, eine publikumswirksame, fachlich kritische Diskussion zur Evolutionstheorie zu organisieren, ohne dabei in die Dynamiken des beschriebenen Macht- und Mediendiskurses zu geraten und Schaden zu nehmen.

d) Das Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung (MPIZ) Köln und die Website-Sperrung im Fall Lönnig

Die Mechanismen der Macht im Kontext wissenschaftlicher Institutionen

„[...]Das Wesentliche ist, dass die Welt der Sinnesempfindungen nicht die einzige Welt ist, die begrifflich existiert, sondern dass es noch eine andere Welt gibt, die uns allerdings nicht unmittelbar zugänglich ist, auf die wir aber nicht nur durch das praktische Leben, sondern auch durch die Arbeit der Wissenschaft immer wieder mit zwingender Deutlichkeit hingewiesen werden. Denn das große Wunder der unablässig fortschreitenden Vervollkommnung des wissenschaftlichen Weltbildes treibt den Forscher notgedrungen dazu, nach dessen endgültiger Gestaltung zu suchen. [...]“ 59 (Max Planck)

„Die Tatsache, dass berühmte Physiker, wie z. B. Max Planck, an Planmäßigkeit im Universum geglaubt haben, ist für die Biologen heute irrelevant.“60 (Ulrich Kutschera)

Mit der erfolgreichen und durch Medienberichte unterstützten Intervention einer Gruppe von Evolutionsbiologen gegen die Inhalte der Instituts-Website von Wolf-Ekkehard Lönnig, Senior Scientist und Group Leader (Arbeitsbereich Molekulare Pflanzengenetik, Heinz Saedler) am Kölner Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung, erreichte die unwissenschaftliche Kampagne gegen evolutionskritische Standpunkte ihren vorläufigen Höhepunkt. Am 4. Mai 2003 berichtete beispielsweise die evangelische Nachrichtenagentur idea, daß das Direktorium des MPIZ „den Zugang zu Lönnigs Internet-Seiten“ nach „massiven Protesten“ des „Biologen [...] Ulrich Kutschera [...] sperrte“.61

Die Sperrung der Website des Genetikers Wolf-Ekkehard Lönnig hat viel öffentliches Aufsehen erregt und wurde von den Medien auch dementsprechend wertend rezipiert. Die hohe Sensibilität des Themas für das MPIZ, die öffentlichen Reaktionen, die Ungehaltenheiten und von Anspannungen getragenen Debatten, wie sie im Vorfeld der Intervention in der Zeitschrift Biologen heute geführt wurden, sowie die Involviertheit wissenschaftlicher Gesellschaften, Autoritäten und Einrichtungen produzierten eine Menge von Texten, Briefen und schriftlichen Positionen. Auf der einen Seite hat Ulrich Kutschera 2004 ein ganzes Buch zum „Streitpunkt Evolution“62 herausgebracht, in welchem er ausführlich seine Sicht der Dinge schildert und deutlich bemüht ist, seinen langjährigen Kampf gegen „Intelligent Design“ in Deutschland als neue Form der Aufklärung zu begründen. Auf der anderen Seite hat Wolf-Ekkehard Lönnig auf seiner privaten Internet-Library63 eine umfassende Quellen-Dokumentation über die Auseinandersetzungen um seine MPIZ-Seite zur Verfügung gestellt. Auf der Basis dieser doch sehr komfortablen und umfassenden Datenlage läßt sich in einer ausgewogenen Zusammenschau der Dokumente die Historie dieser für wissenschaftliche Institutionen wohl einmaligen Zensurmaßnahme gut darstellen. Doch zunächst erscheint mir die Frage relevant, um was für Inhalte es sich eigentlich in Lönnigs Instituts-Website handelte?

Der Genetiker Wolf-Ekkehard Lönnig arbeitet seit über 20 Jahren in einer Arbeitsgruppe für Pflanzengenetik, welche sich u. a. auch mit Ursprungsfragen auseinandersetzt.64 Die Inhalte der Instituts-Website bestanden nach Lönnigs Angaben zu 95 % aus naturwissenschaftlichen Texten, welche aus seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als wissenschaftlich arbeitender Biologe hervorgegangen waren, wobei er hier nach telefonischer Auskunft aber nur einen Teil seiner Arbeiten ins Netz gestellt hatte. Darunter waren evolutionskritische und biologiehistorische Publikationen zu finden, welche mit positiven nationalen und internationalen Rezensionen begutachtet wurden.65 Als Senior Scientist und Group Leader hat er auch gemeinsam mit seinem zuständigen Abteilungsdirektor Heinz Saedler in internationalen Fachzeitschriften publiziert.

1. Anfrage (Februar 2002): Brief von Ulrich Kutschera an den Leiter des Arbeitsbereiches Molekulare Pflanzengenetik, Heinz Saedler:

„Die Aussagen von Herrn Lönnig (auf der MPIZ-Homepage) sind zum Teil eindeutig gegen die international akzeptierten Grundsätze der Naturwissenschaft Biologie gerichtet und dienen der Verbreitung einer religiösen Weltanschauung, zu der sich der Autor in klaren Worten bekennt. [...] Trotz des ‚Disclaimers‘ des MPIZ möchte ich anfragen, ob sie es für richtig halten, dass die Max-Planck-Gesellschaft derzeit als Verbreitungsorgan einer pseudowissenschaftlichen Ideologie missbraucht wird. Herr Lönnig hat selbstverständlich das Recht, seine kreationistische Weltansicht als Privatmann im Internet zu präsentieren. Es ist meiner Ansicht nach jedoch nicht akzeptabel, dass sein Arbeitgeber durch Bereitstellung von Internetseiten mit MPI-Logo diese religiös motivierte (anti-naturwissenschaftliche) Missionstätigkeit unterstützt. Über eine kurze Stellungnahme wäre ich sehr erfreut“. „Ende März 2002 teilte mir der angeschriebene, für die Homepage verantwortliche Abteilungsleiter mit, dass er seinem Mitarbeiter, Herrn Lönnig, Meinungsfreiheit zubillige, denn ‚Toleranz beflügelt die Wissenschaft‘. Diese offizielle Ansicht des MPIZ habe ich zur Kenntnis genommen.“66

2. Debatte (Biologen heute/Internetforum vdbiol.de, Juli 2002 – Februar 2003)

Das Ansinnen von Kutschera führte auch nach zwei weiteren Kontaktversuchen zu keinen nennenswerten Reaktionen. Daraufhin bemerkt Kutschera in den Mitteilungen des Verbands Deutscher Biologen:

„[...] Die Gegner der Evolutionstheorie sind jedoch nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland auf dem Vormarsch. In unserem Land verbreiten derzeit zwei prominente Kreationisten ihre pseudowissenschaftlichen Ideologien unwidersprochen im Internet (Homepage des Max-Planck Instituts für Züchtungsforschung, Abt. Molekulare Genetik, Köln) und in einer Fachzeitschrift für Biologielehrer (Praxis der Naturwissenschaften). [...]“67

Der Genetiker Lönnig nimmt in der Dezemberausgabe 2002 (Biologen heute) auf einer Seite Stellung zu den Vorwürfen, worauf Kutschera im gleichen Heft auf mehreren Seiten den oben zitierten Brief mit einer Generalkritik an Intelligent Design veröffentlicht und dabei die wissenschaftlichen Leistungen von Lönnig im Wortsinne seines oben zitierten Briefes an Saedler abwertet.68 Damit war der Höhepunkt der Debatte erreicht. Die Auseinandersetzungen wurden dann noch im Internet-Forum des Verbandes deutscher Biologen bis in das Frühjahr 2003 hinein fortgeführt. Das Internet-Diskussionsforum wurde dann im Rahmen einer Umgestaltung der VdBiol-Homepage im November 2003 geschlossen.

3. Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina (Sitzung 12. Februar 2003)

Mit dem Auftreten des berühmten Soziobiologen, Ameisenforschers und Pulitzerpreisträgers Bert Hölldobler im Senat der angesehenen naturforschenden Gesellschaft Leopoldina wird das Ansinnen Kutscheras nun mit dem ganzen Potential akademischer Autorität unterlegt. Und wie Werner J. Gieffers, Senior Scientist am MPIZ Köln, in seiner Reaktion zum Leopoldina-Sitzungsanlaß zur Erweiterung der Benennung der Sektion 8 „Organismische und Evolutionäre Biologie“ richtig bemerkte, war dieser demonstrative Namensakt mehr als nur ein „Geschäftsvorgang“.69 In Auszügen heißt es in der auf der Instituts-Webseite von Kutschera veröffentlichten Begründung von Bert Hölldobler:

„‚Nothing in Biology makes sense, except in the light of evolution‘. [...] Die Pseudowissenschaft ‚Creationismus‘, die in einigen Bundesstaaten der USA eine beachtliche Anhängerschaft hat, breitet sich in jüngerer Zeit auch in Deutschland aus. Bisweilen tritt sie unter der Tarnkappe ‚Intelligent Design‘ in Erscheinung und wird als solche sogar auf einer offiziellen Web-Page des Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung, Köln, propagiert. Um gegen diesen Unsinn auch ein äußeres Zeichen zu setzen, beantragen wir wenigstens für eine Sektion der Leopoldina den Begriff ‚Evolutionäre Biologie‘ aufzunehmen. [...] Die Leopoldina sollte wenigstens eine Sektion haben, die sich kompetent zu allen Fragen der Evolutionsbiologie äußern kann.“70

Bert Hölldobler, welcher im Frühjahr 2002 von Kutschera kontaktiert wurde, stand schon im Briefwechsel mit dem Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), Peter Gruss.71 Die Kritik Gieffers72 sowie Lönnigs korrigierende Einwände73 gegen die Rede von Hölldobler führten zu einer weiteren Beschwerde Hölldoblers beim Max-Planck-Präsidium.74 Das Infragestellen der Autorität oder die Kritik an einem Senatsmitglied der Leopoldina75 ziehen offensichtlich im Kräftefeld institutioneller Machtverhältnisse und Netzwerke Konsequenzen nach sich. Mit der Autorität des Pulitzerpreisträgers Hölldobler hatte Kutschera einen wichtigen Koalitionspartner gefunden.

Während MPG-Präsident Peter Gruss schon Einfluß auf die vier MPIZ-Direktoren in Köln ausübte, fehlte noch der letzte entscheidende Schritt: nun mußte die ganze Medienmacht eines weltweit anerkannten und renommierten Wissenschaftsmagazins gegen Lönnig und damit gegen das MPIZ gerichtet werden.

4. Kutscheras Korrespondenz mit „Nature“(Redaktion London)

„Im Februar 2003 hatte ich über den Briefwechsel zwischen den Herren B. Hölldobler und P. Gruss [...] bereits angekündigt, dass ich das weltweit führende Wissenschaftsjournal Nature über die Inhalte auf der MPIZ-Homepage informieren werde, sollte innerhalb von vier Wochen keine Kompromisslösung herbeigeführt werden. Auch dieser Hinweis auf eine bevorstehende internationale Aktivität der AG Evolutionsbiologie wurde ignoriert. Anfang März 2003 reichte ich bei der Nature-Redaktion (London) einen kurzen Correspondence-Artikel ein, in dem ich den Fall Saedler/Lönnig [...] in Kurzform beschrieben und kommentiert hatte.“76

Die daraufhin folgenden Gespräche der Münchner Nature-Korrespondentin A. Abbott mit dem Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft Peter Gruss, Evolutionsbiologen und Wissenschaftlern sowie mit Lönnig und Saedler führten am 19. März 2003 zu einer vorläufigen Sperrung der Web-Site des Genetikers. Die Max-Planck-Gesellschaft war einerseits für den Fall einer internationalen Reaktion um ihren „guten Ruf“ besorgt, andererseits stand eine endgültige Entscheidung der MPIZ-Direktoren wegen der anhaltenden Diskussionen noch aus, wie aus dem folgenden Abschnitt hervorgeht.77

Nature-Artikel: „Axing of website article sparks row at Max Planck“ (3. April 2003)

Der Fall Lönnig erreichte mit dem Erscheinen des Nature-Artikels im April 2003 nun vollends die internationale scientific community. Aus dem Text dieses Artikels treten auch die Namen der für diese Zensurmaßnahme verantwortlichen Evolutionsbiologen deutlich hervor.

„[...] Earlier this month, Peter Gruss, president of the Max Planck Society, asked the four directors of the Cologne institute to provide a scientific justification for Lönnig’s pages. […] A disclaimer identifying the article as a personal opinion was added in 200178 […]. ‚Only scientific issues should be discussed on a Max Planck site‘, says Gruss. And last week, Lönnig’s pages were removed from the institute’s site, pending a directors’ meeting on 28 April to determine their fate. Ulrich Kutschera, an evolutionary biologist at the University of Kassel, has campaigned against the presence of the material on an official Max Planck website, but not on the official site of a scientific organization of international status, he says. Many evolutionary biologists share Kutschera’s concerns: Axel Mayer of the University of Constance, for example, says that he was ‚shocked‘ by the contents of the pages. […] Lönnig is displeased by the removal of his discussion. ‚No one is happy when someone switches off the information flow of what he thinks is right,‘ he says.79 And Heinz Saedler, one of the institute’s directors, who has supported Lönnig and published jointly with him, says that although he doesn’t believe in intelligent design himself, he enjoys discussing it with Lönnig.“80

Der Konstanzer Evolutionsbiologe Axel Meyer ist ebenso wie Kutschera und Hölldobler ein erklärter Gegner von Intelligent Design. In einem umfassenden Artikel für Die Welt schreibt Meyer folgendes:

„[...] Sie ist Religion und gehört somit nicht ins Biologieklassenzimmer. ID ist keine testbare wissenschaftliche Hypothese und löst unter Wissenschaftlern auch keine Kontroverse über die Evolutionstheorie aus. [...] Und wissenschaftlicher Fortschritt entsteht, unter anderem, aus dem Versuch, Experimente zu erdenken, die das in Frage stellen, was landläufig als richtig angesehen wird. Darwins Evolutionslehre hat diese Tests [...] in Tausenden Experimenten mit Bravour bestanden. [...] Es wird kein Gedanke daran verschwendet, ob an der ID-Idee etwas wissenschaftlich Wertvolles sein könnte. [...] Für IDler sind dies vielleicht beunruhigende Einsichten, aber zumindest für Biologen ist klar, dass Zufall nicht nur etwas Negatives, weil Unbestimmtes und damit Bedrohliches bedeutet, sondern auch etwas Kreatives und Positives. [...] Die Evolution auch unserer Spezies – es tut mir leid, sollte ich damit Gefühle verletzten – wurde in der Vergangenheit vom Zufall beeinflusst. [...]“81

Eine restriktive Handlung, wie die Sperrung einer Website, erzeugt natürlich auch ambivalente Reaktionen in der Öffentlichkeit. Aus diesem Grund war es notwendig, die gegen einen MPIZ-Mitarbeiter gerichtete Zensurmaßnahme auch öffentlich zu legitimieren. Die Verfahren der Legitimation bewegen sich im Fall Lönnig im diskursiven Feld von instrumentellen und institutionalisierten Machtmechanismen. In den Legitimationsverfahren der nun im Namen der Wissenschaft vollzogenen Einschränkung von wissenschaftlichen Publikationsfreiheiten treten die subjektiven Einstellungen und Bewertungen der verantwortlichen Akteure deutlich zutage.

5. Legitimationsverfahren: Instrumentalisierte Medien und die Bedeutung des guten Rufes

In einem Correspondence-Artikel, welcher unter dem Titel „Designer scientific literature“ in Nature82 abgedruckt wurde, wird von Kutschera auf ein publiziertes Paper von Lönnig und Saedler im Annu.Rev.Gen. (2002) hingewiesen, in welchem auch evolutionskritische und Intelligent Design befürwortende Autoren zitiert wurden. Mit der Zielrichtung dieses Artikels soll Lönnig und sein Abteilungsdirektor Saedler gleichermaßen in Bedrängnis gebracht werden. Saedler hatte sich ja schließlich mehrmals zurückgehalten, dem Ansinnen Kutscheras Raum zu geben.

Der Artikel wurde zudem mit Informationen über Scherers evolutionskritisches Lehrbuch und Lönnigs Kommentaren im Rahmen evolutionskritischer Videofilme unterlegt. Vor dem Hintergrund der Intelligent-Design-Debatte in den USA konnten mit einem Nature-Artikel dieser Art vermutlich erfolgreich Resonanzen erzeugt werden. In dieser neuen Dimension der Verfolgung evolutionskritischer Standpunkte war der Fokus nun auf internationale wissenschaftliche Publikationen gerichtet. Die Durchsetzungsmacht der herrschenden Theorie wurde hier in unwissenschaftlicher Art und Weise mit der medialen Autorität eines Nature-Artikels öffentlich legitimiert.83

Die Legitimation der Website-Sperrung erfolgte im deutschsprachigen Raum über den Artikel „Entwürfe in Gottes Namen“, welcher am 30. April 2003 in der Zeit erschienen ist.84 Die Inhalte des Textes verweisen auf zahlreiche interessengeleitete Informationen und einschlägig subjektive Bewertungen. Zudem finden sich im Text viele Argumentations- und Deutungsmuster, welche schon in den Story lines erarbeitet wurden.85 Im folgenden sollen drei Textauszüge aus dem Zeit-Artikel vorgestellt werden:

a) „Könnte man sich die Website von Wolf-Ekkehard Lönnig noch immer ansehen, stieße man nach einigen Klicks auf die Zeichnung eines Wasserschlauchs. Diese Pflanze mit lateinischem Namen Utricularia vulgaris wächst aus Moorgräben in die Höhe und hat ein trickreiches System aufgebaut, um sich zu stärken. [...] Das raffinierte Konstrukt muss ausgedacht worden sein. [...] Wolf-Ekkehard Lönnig glaubt das.“

In der einleitenden Beschreibung der Utricularia vulgaris und der damit verbundenen Komplexität hätte die Öffentlichkeit zumindest die Chance bekommen können zu erfahren, worum es inhaltlich in Lönnigs Webseiten geht, und wo die wissenschaftlichen Gründe seiner Evolutionskritik zu suchen sind? Aber mit der Beschreibung der Pflanze endet auch gleich der wissenschaftliche Teil des Artikels.

b) „Entwürfe in Gottes Namen. Darf ein Biologe die Evolution infrage stellen? Ausgerechnet am Kölner Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung erklärt ein Wissenschaftler die Natur als Werk eines intelligenten Designers. Jetzt kämpft das Institut um seinen guten Ruf. [...] Kaffeesatz und Horoskope [Teilüberschrift] Seit einem Monat aber klickt man vergebens. Im Namen der Max-Planck-Gesellschaft würde hier pseudowissenschaftliches, kreationistisches Gedankengut verbreitet, hatten sich seine Gegner echauffiert, darunter der berühmte Ameisenforscher Bert Hölldobler. Er sah den Ruf der Max-Planck-Gesellschaft in Gefahr, wenn deren Web-Seiten dazu verwendet würden, Glaubenskonzepte zu verbreiten: ‚Wenn Sie das zulassen, müssen Sie auch erlauben, dass in der Astronomie Astrologie betrieben sowie Kaffeesatz lesen und Horoskope schreiben gelehrt wird.‘ [...] Nur eine ‚massiv entrümpelte‘ Web-Seite von Lönnig wird in Zukunft auf dem MPG-Server zu finden sein. [...]“

c) [...] Der lauteste Lönnig-Kritiker ist der Kasseler Biologieprofessor Ulrich Kutschera. Er glaubt, dass Lönnigs Schriften auf der MPIZ-Homepage ‚der Verbreitung einer religiösen Weltanschauung‘ dienten und die MPG ‚als Verbreitungsorgan einer pseudowissenschaftlichen Ideologie missbraucht‘ wurde. [...] Lönnig nutzte die Seite seines Instituts, weil er seine Hypothesen als Resultat von Forschung und nicht als Produkt seiner Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas interpretiert sehen will. [...] Es entspricht der Taktik der Anhänger von Intelligentem Design, dass sie ihren Schriften einen wissenschaftlichen Anstrich verpassen und sie im Umfeld von Forschungsinstituten präsentieren möchten. [...] Sind die erstaunlichen Fähigkeiten von Utricularia vulgaris auf dem Reißbrett einer unbekannten Größe entstanden? Handelt es sich, wie Lönnig sagt, um ein Beispiel für ‚nichtreduzierbare Komplexität‘? [...] Nach Kutscheras Ansicht hat kein Schöpfer bei diesem Geniestreich an der Pflanze herumgefingert. Zöge man den Einfluss übernatürlicher Kräfte in Betracht, dann ‚kann man die Naturwissenschaften abschreiben‘. [...]“

Schon allein mit dem Begriff der „massiv entrümpelten“ Website wird die Zielrichtung des Artikels vorgegeben. Dementsprechend vollzieht sich dann auch in den Aussagegehalten des Textes die öffentliche Abwertung der wissenschaftlichen Arbeiten des MPIZ-Mitarbeiters. Dabei kommt den Bewertungen Hölldoblers und Kutscheras eine zentrale Bedeutung für diese Art der Textfunktion zu. Berücksichtigt man die Äußerungen Hölldoblers in der Senatsrede und in anderen Medien, wie beispielsweise in Focus-Schule,86 so wird deutlich, daß dieser fast schon gewohnt unsachlich und polemisch argumentiert. Hölldobler belegt seine Aussagen mit Geltungsansprüchen, indem er die für renommierte Forschungseinrichtungen so wichtige Symbolik des guten Rufes instrumentalisiert und interessengeleitet auf die Realitätsdefinitionen der verantwortlichen Evolutionsbiologen hinwendet. Im Umkehrschluß kann natürlich auch aus der Sicht des Betroffenen die Sperrung einer Website als rufschädigend beurteilt werden. Die Frage ist nur, wer im Kräftefeld der institutionellen Machtverhältnisse über die größere Definitionsgewalt verfügt und damit auch die Deutungen der Realität mitbestimmen kann. Zudem ist wie in zahlreichen anderen Artikeln auch im Zeit-Artikel die Argumentationsstrategie zu beobachten, daß mit der Nennung von religiösen Motiven und Religionszugehörigkeiten die Diskursunfähigkeit des Evolutionskritikers behauptet wird.87 Damit ist dann auch die Basis geschaffen, daß komplexe wissenschaftliche Probleme, wie in den Schlußsätzen des Artikels geschehen, mit unsachlichen Äußerungen entwertet werden können. Der respektlose Umgang mit dem Evolutionskritiker Lönnig ist dann wenigstens auch einigen aufmerksamen Redakteuren wie Cord Riechelmann aufgefallen. Er bemerkt hierzu:

„[...] Nach Interventionen vor allem des Kasseler Biologieprofessors Ulrich Kutschera und des Ameisenforschers und Soziobiologen Hölldobler wurde Lönnigs MPI-Seite im Jahr 2003 geschlossen. [...] Diese Website beginnt mit dem Grundgesetzartikel, der die Würde des Menschen für unantastbar erklärt. Lönnig fühlt sich nämlich durch den Ausschluss von der MPI-Homepage nicht nur in seiner Menschenwürde angetastet, er sieht sich auch in seiner Forschungsfreiheit behindert. In gewisser Weise hat er damit sogar Recht. Denn die Art, wie er angegriffen wurde, ist mindestens so dogmatisch und undifferenziert, wie es die christlichen Fundamentalisten sind, zu denen man die Anhänger der Intelligent-Design-Theorie zählt. So hat man Lönnig häufig einen Kreationisten genannt, der er nachweislich nicht ist.88 [...] Es sind gerade die offenen Fragen der Evolutionstheorie, an denen die Intelligent-Design-Theoretiker ansetzen. Wenn man ihnen argumentativ und nicht nur institutionell, wie es etablierte Universitätsprofessoren wie Kutschera und Hölldobler tun, begegnen will, sollte man auch ihre Argumente studieren und sie nicht einfach mit dem antikreationistischen Affekt abbügeln. [...] In gewissem Sinne reagiert diese Theorie auf offene Fragen, die die institutionalisierte Evolutionstheorie suspendiert und nicht diskutiert oder nicht diskutieren will. [...] Auch im arrivierten Neo-Darwinismus werden genug Dinge verbreitet und gelehrt, die alle Anzeichen einer religiösen Überzeugung tragen. [...]“89

6. Der übriggebliebene Link und die öffentliche Distanzierung des MPIZ-Direktoriums

Im Jahr 2006 kommt die MPG-Zensurgeschichte dann zu ihrem endgültigen Abschluß. Die Erzählungen für den letzten Akt verlaufen in zwei Episoden:

1. Episode: Im Januar-Heft der Zeitschrift Max-Planck-Forschung erscheinen in der Rubrik „Notizen des Präsidenten“ folgende Sätze:

„[...] Intelligent Design heißt diese Lehre, die sogar schon in den amerikanischen Schulunterricht einfließt. [...] Auch wenn die Bewegung in Deutschland glücklicherweise bisher kaum Widerhall gefunden hat, sehe ich die Angriffe auf die Wissenschaft mit Sorge. Es wäre dramatisch, wenn die Kampagne den Umgang der Gesellschaft mit wissenschaftlichen Inhalten verändern würde. [...] Und bei Intelligent Design handelt es sich um nichts anderes als ein Dogma, wie Axel Meyer [...] sehr klar darlegt. Die Wissenschaft hat über Jahrhunderte Prinzipien entwickelt, die eine Erweiterung des Wissens garantieren. Diese Prinzipien auszuhebeln wäre ein Rückschritt, nicht nur für die Evolutionsbiologie, sondern letztlich für die ganze Gesellschaft.“90

In den Worten von Peter Gruss kommt nun auch die Story line Wissenschaftsfeinde im Magazin einer wissenschaftlichen Forschungseinrichtung zur Anerkennung. Der Artikel des Evolutionsbiologen Axel Meyer im gleichen Heft titelt mit den folgenden Sätzen:

„Intelligent Design – not the fittest. ‚Gar nicht erst ignorieren!‘: Nach diesem Motto könnte man mit Intelligent Design verfahren, das überkommene kreationistische Thesen in wissenschaftlicher Mogelpackung bietet. Doch Axel Meyer rät, dem breiten Publikum eindringlicher als bisher zu vermitteln, was die Evolutionsbiologie in den 150 Jahren seit Charles Darwin ans Licht gebracht hat – und warum dessen Theorie der Evolution inzwischen als Tatsache gelten darf.“91

2. Episode: In einem Interview mit Ulrich Kutschera, welches im Juni 2006 im Laborjournal zu lesen war, findet sich folgende Aussage:

„[...] Kutschera: Wir haben einen aktiven Zeugen Jehovas, der als Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung (MPIZ) in Köln Pro-ID-Propaganda betreibt. LJ: Sie meinen Wolf-Ekkehard Lönnig. Ist die Affäre um ihn nicht inzwischen ausgestanden? Kutschera: Nein, ich habe kürzlich im Internet noch einmal nachgeschaut. Wenn Sie am MPIZ Köln auf die Internetseite gehen, kommen Sie zur molekularen Pflanzengenetik von Heinz Saedler und von dort auf die Seite der Gruppe Lönnig. Es gibt dort nicht nur einen Link auf seine private Internetseite, wo sie am laufenden Meter Propaganda gegen die Evolution abrufen können, sondern auch eine Seite unter ‚persönliche Meinung‘. Dort kann man einen Pro-ID-Aufsatz in englischer Sprache finden, mit der Dienstadresse von Lönnig. Die Institution MPIZ Köln hat sich somit bis heute nicht von diesen pseudowissenschaftlichen Thesen öffentlich distanziert. Im Grunde wird die Internetseite des MPIZ noch immer als Verteiler zur Verbreitung von ID missbraucht. (...) Ich habe mehrfach versucht, unter Mithilfe des Präsidenten der MPG diese Praktiken zu unterbinden, [...].“92

In der September-Ausgabe des Laborjournals distanzieren sich die vier Direktoren des MPIZ öffentlich in Form eines Briefes an die Redaktion von ihrem Mitarbeiter. Mit der nun folgenden Maßnahme hat die Durchsetzungsmacht einer kleinen Gruppe von Evolutionsbiologen ihr letztes Ziel erreicht:

„[...] Um eine Verwechslung zwischen den persönlichen Meinungen und den Forschungsarbeiten der Wissenschaftler unseres Max-Planck-Instituts zu vermeiden, haben wir alle Links von der Instituts-Homepage auf private Internetseiten sowie alle persönlichen Meinungen geprüft und die von Herrn Dr. Lönnig entfernt93. [...]“94

Auch in dieser Stellungnahme gab es keine Diskussion der fachlichen Inhalte.

e) Die Medienöffentlichkeit der „Kreationisten“ und „Intelligent Design“-Befürworter

Im deutschsprachigen Raum gibt es in der Tat nur eine kleine Anzahl von Wissenschaftlern, welche öffentlich Evolutionskritik betreiben. Damit sind auch die Zugangsmöglichkeiten für Stellungnahmen in den regionalen und überregionalen Medien nur sehr eingeschränkt. So finden sich Reaktionen auf die beschriebenen Kampagnen dann meist nur in einschlägig christlich orientierten Zeitungen, Magazinen und Internetportalen wieder. So warf beispielsweise der Geschäftsführer des Christlichen Medienverbundes KEP, Wolfgang Baake, dem Fernsehsender Arte „eine tendenziöse und für zahlreiche Christen beleidigende Berichterstattung“ vor. Der Sender habe, so Baake im Christlichen Medienmagazin pro, in seiner Reportage „auf polemische Weise“ Schulen und Lehrer vorgeführt. Dabei hätten die Redakteure auf Stereotypen zurückgegriffen, die Christen als „Gegner der Moderne“ darstellten. 95 Bezogen auf die beiden letzten Jahre führten u. a. die evangelische Nachrichtenagentur idea 96 und das Westfalenblatt 97 Interviews mit dem Mikrobiologen Siegfried Scherer durch. In der Zeitschrift factum 98 sowie in der Hessischen Allgemeinen 99 finden sich Interviews mit Wolf-Ekkehard Lönnig. Ein für christlich motivierte Evolutionskritiker wichtiges Portal zu Intelligent Design stellen Wort und Wissen 100 und Genesis.net 101 zur Verfügung. Es ist zudem anzumerken, daß auch eine Anzahl von Redakteuren der von mir untersuchten deutschsprachigen Medien sich für eine relativ ausgewogene Berichterstattung entschieden haben. Hier fanden sich zwar nur selten Intelligent Design befürwortende Artikel, jedoch sehr realistische Sichtweisen zur tatsächlichen Bedeutung der Evolutionslehre in der Öffentlichkeit sowie kritische Stellungnahmen zum beobachteten Umgang mit wissenschaftlichen Theorien. 102

Angesichts der Tatsache, daß es nur eine kleine Anzahl von aktiven wissenschaftlich argumentierenden Evolutionskritikern im deutschsprachigen Raum gibt, muß man sich schon die Frage stellen, gegen welchen Gegner die Evolutionisten eigentlich so vehement kämpfen. Wozu brauchen deutsche Evolutionisten unbedingt einen Feind? Geht es hier um den Ausgleich eines Verlustes von Gewißheiten?

II. Ergebnisse und Interpretationen

Die bisherigen Analysen haben gezeigt, daß die Medienberichterstattung zu Intelligent Design nahezu gänzlich ohne wissenschaftliche Argumente auskommt und dennoch viel von sich reden macht. Es ist zudem nicht zu übersehen, daß die ablehnende Haltung der Medien gegenüber Intelligent Design hierzulande sehr viel mit den Entwicklungen und Ereignissen in den USA zu tun haben. Allerdings stößt man mit Vergleichen der Sachverhalte sehr schnell an die Grenzen möglicher Erklärungen, denn die Bedeutungsgehalte sowie die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen der Intelligent-Design-Debatte sind in beiden Ländern als grundverschieden zu betrachten. Zur Beantwortung der Frage, nach welchen Mechanismen der Umgang mit Evolutionskritik in der deutschen Öffentlichkeit denn eigentlich funktioniert, kann vor dem Hintergrund der vorgestellten Medienberichte und Begebenheiten mit relativer Sicherheit gesagt werden, daß die öffentlichen Kampagnen der Evolutionisten gegen ihre Kritiker im deutschsprachigen Raum mit ausschließlich unwissenschaftlichen Mitteln erfolgen. Die Machtwirkungen, welche aus den jeweiligen Diskursen hervorgehen, zeigen auch sehr deutlich, wie aus einer wissenschaftlichen Theorie eine herrschende Theorie werden kann. Denn die Medien fokussieren sich vornehmlich auf die Aussagen und Wertungen von etablierten Evolutionsbiologen, was zur Folge hat, daß die Evolutionsanschauung in der Öffentlichkeit vor grundsätzlicher Kritik geschützt wird und die Erzählungen in den Medien ohne wissenschaftliche Inhalte erfolgen. Da sich das diskursive Feld des Intelligent-Design-Diskurses allerdings auch auf verschiedene gesellschaftliche Teilsysteme erstreckt, geht es den Evolutionsbiologen in allen beschriebenen Aktionsfeldern in Politik, Wissenschaft und Bildung mehr um die eigene Durchsetzungsmacht als um die Diskussion von Kernproblemen evolutionstheoretischer Standpunkte.

1. Erzählungen ohne wissenschaftliche Inhalte

a) Keine öffentlichen Fachdiskussionen

In den durchgesehenen Artikeln finden sich immer wieder Behauptungen wie beispielsweise solche von Kutschera: „Es gibt in der Biologie keine Debatte über die Evolution.“103 „Evolution ist eine dokumentierte Tatsache, so sicher wie zum Beispiel, daß die Erde keine Scheibe ist. Die Erde ist rund, Evolution hat stattgefunden, daran zweifelt kein kompetenter, sachkundiger Biologe mehr.“104 Kutschera hält den Terminus „Evolutionskritik“ sogar für einen „Unbegriff“.105 Die zitierten Statements Kutscheras im Rahmen des „Erfurter Dialogs“ sowie die vorgestellten Standpunkte anderer Mitglieder der AG Evolutionsbiologie lassen eindeutig erkennen, daß öffentliche Fachdiskurse zur Evolutionskritik aus politischen Gründen nicht gewünscht sind. Hinzu kommt, daß durch die strategische Zusammenführung amerikanischer und deutscher Bedeutungsgehalte über wertbehaftete Impulsbegriffe, wie den des „Kreationismus“, die Evolutionskritik politisiert wird. Die amerikanischen Verhältnisse kommen den Evolutionsbiologen dann im Sinn einer welcome orientation dahingehend entgegen, daß so der Evolutionskritik aus politischen Gründen die öffentlichen Foren entzogen werden können. In Deutschland verstärkt sich diese Politisierung, wie aus den vorgestellten Artikeln deutlich hervorgeht, ausschließlich durch die Medienpositionen der relevanten Sprecher des Verbandes deutscher Biologen (VdBiol) und der AG Evolutionsbiologie. Vor diesem Hintergrund werden auch die religiösen Motivationen politisiert und der wissenschaftliche Anspruch der Evolutionskritiker in der Vermengung von deren religiöser Motivation und politisch aufgeladener Begriffe entwertet, mit dem Ergebnis, daß über wissenschaftliche Inhalte gar nicht mehr gesprochen wird.

b) Instrumentalisierung wissenschaftlicher Institutionen

Mit der Instrumentalisierung des öffentlichen Ansehens einer renommierten Forschungseinrichtung vollzieht sich ein Novum in der Mittelwahl zur Verfolgung evolutionskritischer Standpunkte. Ein Mittel, welches auf einen der sensibelsten Punkte institutioneller Stabilisierung abzielt. Das zeigen vor allem die machtvollen Auswirkungen des Nature-Artikels auf die Handlungsoptionen des Präsidiums der Max-Planck-Gesellschaft. Die institutionelle Symbolfunktion des guten Rufes in der internationalen Wissenschaftswelt spiegelt sich nahezu idealtypisch im Verhalten des MPG-Präsidenten Peter Gruss wider. Desweiteren erfolgte die Unterdrückung der Evolutionskritik über ausgeprägte institutionelle Netzwerke, subjektive Einflußmöglichkeiten und institutionelle Machtverhältnisse. Der Diskurs über die Website im Fall Lönnig verlief auch hier ohne inhaltliche Auseinandersetzungen. Der Blick des Evolutionsbiologen auf evolutionskritische Standpunkte und Literaturreferenzen in internationalen wissenschaftlichen Publikationen zum Zweck der Instrumentalisierung eröffnen in der Story line MPIZ eine völlig neue Dimension institutionellen Kontrollhandelns.

c) Politische Einflußnahme und Schulen

Es ist bemerkenswert, daß einige Evolutionsbiologen wegen der Reichweite der Evolutionskritik auf die Bereiche schulische Erziehung und Bildung sehr viel Energie aufwenden, um über institutionelle Machtmechanismen und die behaupteten Geltungsansprüche der „herrschenden“ Lehrmeinung politisch Einfluß auf die Freigabe von Lehrbüchern und die Gestaltung der Curricula im Rahmen der öffentlichen Schulbildung zu nehmen. Die zwischen den Zeilen zu ersehene gewünschte Kontrolle über die Schulbibliotheken, Anspielungen auf die wissenschaftliche Kompetenz der Autoren evolutionskritischer Lehrbücher sowie die öffentliche Abwertung der Würdigung eines politischen Repräsentanten macht auch hier deutlich, wie wenig es den Akteuren um die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Kritik geht. Es sind die immer wieder auftretenden einförmigen Redewendungen und Stereotypen, welche den Mediendiskurs im wesentlichen bestimmen.

Der Verband deutscher Biologen legte zudem über öffentliche Interventionen die unhinterfragbaren Regeln für den Biologieunterricht fest und befördert damit auch eine öffentlich und medial inszenierte Stigmatisierung abweichender Lehrmeinungen, wie das im Fall Gießen geschehen ist. Die Inhalte des nicht zugelassenen evolutionskritischen Lehrbuches blieben in den Medien nahezu völlig undiskutiert. Die einseitigen Machtwirkungen der Schulbuchdebatte stabilisierten sich zudem über sehr ungleiche Ressourcenverteilungen der medialen Kommunikationsmöglichkeiten, wobei sich der Erfolg des Ressourceneinsatzes und der Einflußnahmen aus soziologischer Sicht nur über die institutionell legitimierte Absicherung der Wissenschaftsverbände erklären lassen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß das Paradigma der Evolutionstheorie ein gewichtiges Deutungskonzept der modernen Wirklichkeit darstellt, welches auch mit einer nicht zu unterschätzenden Durchsetzungsmacht ausgestattet ist. Die aktiven Verfolger der Evolutionskritik bedienen sich mit Hilfe ihrer institutionell legitimierten Positionen, wie bis hierhin aufgezeigt werden konnte, ganz verschiedener Mechanismen der instrumentellen Machtausübung. Das überaus große Engagement der Evolutionisten sowie die Art und Weise, wie diese Mittel und Ressourcen zur Verhinderung öffentlicher Evolutionskritik eingesetzt werden, geben Anlaß für weitergehende Fragestellungen. Wie zum Beispiel, ob es so etwas wie eine hidden Agenda der evolutionistischen Akteure gibt. Zudem möchte ich mich abschließend damit auseinandersetzen, inwieweit die Analysen, Beobachtungen und Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung nahelegen, die Evolutionstheorie unter Ideologieverdacht zu stellen.

2. Fachwissen oder Gesinnung – Wissenschaft oder Ideologie

a) Die verborgenen Motive evolutionistischer Akteure

Am 25. Oktober 2006 hat der Verband Deutscher Biologen (VdBiol) mit einem Protestschreiben an die hessische Kultusministerin Karin Wolff darauf reagiert, daß sich die Ministerin für einen Biologieunterricht mit „fächerübergreifenden und -verbindenden Fragestellungen“ ausgesprochen hat. In diesem Schreiben, welches mit der Überschrift Schöpfungsmythen im Biologieunterrichtversehen ist, heißt es auszugsweise:

„[...] Mit Befremden haben viele Wissenschaftler im Verband deutscher Biologen (VdBiol) Ihre Äußerung zur Kenntnis genommen, wonach christliche Schöpfungsvorstellungen auch im Biologieunterricht behandelt werden sollten und es zulässig sein müsse, die Evolutionstheorie in Frage zu stellen. [...] Der naturwissenschaftliche Fachunterricht hat das gesicherte Wissen unserer Zeit zu lehren und die notwendigen Prinzipien wissenschaftlicher Forschung und Theoriebildung zu vermitteln. [...] Biologielehrer sind nicht dazu qualifiziert, sich zu theologischen Fragen zu äußern. [...] Die Forderung kann daher im Interesse aller Schüler und Eltern nur lauten: Der naturwissenschaftliche Unterricht muss weltanschauungsfrei bleiben! [...] Es besteht kein Zweifel, dass alternative Erklärungsansätze innerhalb der Evolutionsbiologie auch im Biologieunterricht thematisiert werden sollten. Es kann jedoch nicht angehen, dass die Evolutionstheorie durch Angriffe von außen in Frage gestellt wird, [...]. Wir wiederholen daher abschließend unsere Forderung: Der naturwissenschaftliche Unterricht muss, nicht zuletzt in einer weltanschaulich pluralistischen Gesellschaft, in allen Fächern rein wissenschaftlich bleiben. [...] Eine diskriminierende Sonderbehandlung der Evolutionsbiologie als ‚infragestellungswürdig‘ darf es – auch unter Bezugnahme auf die Belange einer ‚christlichen Kultur‘ – nicht geben. [...] Mit freundlichen Grüßen AG Evolutionsbiologie im Verband deutscher Biologen.“106

Am 30. Oktober 2006 wurde bei der Deutschen Presseagentur ein Artikel platziert, welcher dann landesweit in über 30 Zeitungen wiedergegeben wurde. Die dpa-Meldung trägt den Titel: Biologie. Zahl der Evolutions-Leugner steigt. Hierin lesen wir folgende aufschlußreichen Sätze:

„[...]‚Wir gehen von 1,3 Millionen Evangelikalen aus, die die Bibel wörtlich auslegen. Leider werden es mehr.‘ [...] Der Kasseler Professor für Evolutionsbiologie sieht Kreationisten‚ vor allem in Sekten, fern der Amtskirche, etwa bei den Freikirchen und Zeugen Jehovas. Scharf kritisierte der Biologe die hessische Kultusministerin Karin Wolff (CDU) wegen ihrer Meinung, auch die Schöpfungslehre der Bibel sollte im Biologieunterricht behandelt werden. ‚Frau Wolff sollte sich zunächst orientieren und ein Fachbuch lesen‘, sagte Kutschera. ‚Die Ministerin benutzt die Sprache der Kreationisten und fällt auf deren Kritik herein.‘ So spreche Wolff von einer Evolutions- und einer Schöpfungstheorie. ‚Aber diese Wortwahl ist ein Taschenspielertrick der Kreationisten, denn es gibt einerseits die Schöpfungsmythen und andererseits eine Evolutionsbiologie.‘ Die Evolution sei eine Tatsache, die durch eine moderne Theorie erklärt werde, sagte Kutschera. ‚Sonst wären ja all die Tausenden Wissenschaftler, die wie wir auch in Stanford und Harvard Evolutionsforschung betreiben, Narren. [...] Es ist inakzeptabel, die Evolution als Faktum in Frage zu stellen. [...] Ich kenne keinen modernen Theologen, der die Bibel wirklich wörtlich auslegt.‘ [...]“107

Wenn „gesichertes Wissen“ nicht mehr interpretiert oder hinterfragt werden darf und wenn eine wissenschaftliche Theorie, wie auch in zahlreichen anderen Statements der vorliegenden Untersuchung geschehen, zur Tatsache erhoben wird, liegt der Verdacht nahe, daß das Engagement der Evolutionsbiologen nicht nur von politischen Motiven getragen wird. Wenn einerseits in den Story lines in Bezug auf Intelligent Design von der christlichen Mission im akademischen Gewand gesprochen wird, dann muß andererseits auch die Frage erlaubt sein, unter welcher Mission denn eigentlich die intervenierenden Evolutionsbiologen agieren. Diese nehmen ja selbst immer wieder Bezug auf die religiösen Motive der Evolutionskritiker und umgehen so die fachliche Diskussion. Überhaupt ist auffällig, daß hier Vertreter der sogenannten exakten Wissenschaften kontinuierlich religiöses Terrain betreten und sich zu theologischen Fragen äußern. Gleichzeitig wird aber impliziert, daß Anhänger der Evolutionstheorie völlig unvoreingenommen und immer objektiv seien, sich also ausschließlich dem Fachwissen verpflichtet fühlen.

Kutschera ist beispielsweise Mitglied im Stiftungsbeirat der Giordano-Bruno-Stiftung (GBS) zur Förderung des evolutionären Humanismus. Die Stiftung setzt sich für eine neue Leitkultur der Aufklärung im 21. Jahrhundert und die Unterstützung säkularer Verbände und atheistischer Vereinigungen ein. „Ziel der Stiftung ist es, die Grundzüge eines naturalistischen Weltbildes sowie einer säkularen, evolutionär-humanistischen Ethik/Politik zu entwickeln und einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“ 108 Eine pointierte Zusammenfassung der zentralen Positionen der GBS findet sich im „Manifest des evolutionären Humanismus“, welches vom Geschäftsführer Michael Schmidt-Salomon im Auftrag der Stiftung geschrieben wurde. 109 Die Stiftung initiierte u. a. auch eine Forschungsgruppe für Weltanschauungen in Deutschland (fowid), die eine forsa-Umfrage in Auftrag gab, mit dem Ziel, die prozentuale Verteilung evolutionskritischer Standpunkte nach Altersgruppen zu untersuchen. 110 Auf der Website der GBS ist unter „Organisationen mit ähnlichen Zielsetzungen“ auch der Link der „AG Evolutionsbiologie im Verband deutscher Biologen“ zu finden. Zum Stiftungsbeirat gehört zudem Mynga Futrell, Co-Direktorin der brights, 111 einer internationalen naturalistischen Bewegung, zu deren Mitgliedern auch die extremen Evolutionisten Daniel Dennett und Richard Dawkins zählen. 112 Der Spiegel bezeichnete unlängst Richard Dawkins als einen „Wanderprediger gegen Gott“. Unter Bezugnahme auf Dawkins’ neues Buch „The God Delusion“ titelt der Spiegel-Artikel mit der Botschaft: „Glücklicher ohne Gott [...]. Nun wehren sich die Evolutionsbiologen und wollen den Menschen den Glauben austreiben. Ihre These: Religionen sind das eigentliche Übel unserer Zeit.“ 113

Vor dem Hintergrund unserer Analysen ist somit festzustellen, daß eine ganze Anzahl von Evolutionisten die eigentlichen Voraussetzungen ihres Denkens nicht wirklich offenlegen. Damit erhalten die Motive der Evolutionisten einen weltanschaulichen Charakter. In der Sorge der Evolutionisten, daß ein Schüler in der Schulbibliothek ein kritisches Lehrbuch zur Evolutionstheorie finden könnte oder daß ein Kind zum „Anti-Evolutionisten“ erzogen wird, spiegelt sich auch die GBS-Agenda in der tiefsitzenden Ablehnung religiöser Wertvorstellungen. 114 Aus dieser Perspektive kann die oben zitierte dpa-Meldung als säkulare Missionsschrift gelesen werden. Hier geht es dann nicht mehr um das „gesicherte Wissen unserer Zeit“, sondern um eine weltanschauliche Auseinandersetzung.

Patrick Bahners von der FAZ reagierte in seinem Artikel mit dem Titel „Das verschleierte Weltbild zu Kassel“ auf die oben zitierte dpa-Meldung wie folgt:

„[...] Als ob Gymnasiasten noch nicht enthüllt werden dürfte, dass auch die Wissenschaft ein Weltbild ist, um dessen moralische und metaphysische Implikationen die Menschheit streitet! Für Karin Wolff gehört zur ‚christlich-humanistischen Kultur‘ die Erkenntnis der ‚Grenzen naturwissenschaftlicher Erklärungsmuster‘. [...] Kann man bestreiten, dass ein Vergleich ältester und neuester kosmologischer Theorien geeignet ist, das Denkvermögen von Schülern zu stimulieren? In diesem Streit steht die Ministerin auf der Seite der Aufklärung, und ihre Kritiker reden dogmatisch.“115

b) Institutionalisierte Wissensordnungen und Evolutionismus

Der Wiener Philosoph Günther Pöltner bringt die Unterscheidung zwischen Evolutionstheorie und Evolutionismus wie folgt auf den Punkt:

„Die Evolutionstheorie ist als naturwissenschaftliche Theorie neutral. Sie bleibt es so lange, als sie sich ihrer methodischen Beschränktheit bewußt bleibt. Wo das nicht der Fall ist und der methodische Reduktionismus zu einer Theorie der Gesamtwirklichkeit totalisiert wird, wird aus der Evolutionstheorie die Ideologie des Evolutionismus. Zeichen dieser Totalisierung ist u. a. die Einengung menschlicher Erfahrung auf den naturwissenschaftlichen Erfahrungsbegriff, die Verwechslung funktionaler Abhängigkeiten mit Kausalrelationen, die funktionalistische Umdeutung von Religion, schließlich die Etablierung einer neuen Mythologie, der Gehirnmythologie, nach der nicht jemand denkt, sondern jemandes Gehirn. Der Evolutionismus ist keine naturwissenschaftliche Theorie, sondern eine Extrapolation, deren Auseinandersetzung unter philosophischen Kriterien steht.“116

Der Evolutionismus wird vor dem Hintergrund unserer Analysen gerade dadurch zur Ideologie, weil sich dessen Träger die herrschende Lehrmeinung der Evolutionstheorie als dominierende Wissensordnung der Moderne zunutze machen, um so einer quasireligiösen naturalistischen Weltanschauung Definitions- und Durchsetzungsmacht zu verleihen. Ideologien sind denn auch immer darauf aus, Interessen durchzusetzen. 117 Evolutionsideologen transformieren Lehrmeinungen in Lehrdiktate, sie legen über die beschriebenen Machtmechanismen die Konsequenzen für die jeweiligen Schreibfehler fest. Die weltanschauliche Gesinnung der Evolutionisten zeigt sich vor allem auch darin, daß diese, wo immer es möglich ist, wissenschaftliche Evolutionskritik zu verhindern suchen. Über die gesellschaftliche und institutionelle Legitimation des Expertensystems Biologie erhält der Evolutionismus mediale Akzeptanz und erreicht zudem auch Politik und Öffentlichkeit. Das ideologische Wissen des Evolutionismus könnte man in diesem Zusammenhang auch als „verschleierndes Wissen“ bezeichnen: die wahren Interessen der Ideenverbreiter, beispielsweise die Zielsetzungen des Evolutionären Humanismus, werden nicht offengelegt. 118

III. Schlußbetrachtung

In der säkularen Moderne erweckt die Wissenschaft schon seit langem den anhaltenden Eindruck zuverlässiger Erkenntnis. Das überträgt sich auf eine gewisse Achtung vor den meisten Formen des Fachspezialistentums. Jedoch ist die Einstellung und das Vertrauen der Laien zur Wissenschaft und zum Fachwissen allgemein auch als ambivalent zu bewerten. Denn Vertrauen wird meist dort verlangt, wo es Unkenntnis gibt. Unkenntnis wiederum liefert jedoch immer Gründe für Skepsis oder zumindest Vorsicht. In der vorliegenden Untersuchung konnte aufgezeigt werden, daß die von der Wissenschaft kollektiv erzeugten Sinnsysteme oder Wissensordnungen nicht vor Ideologie geschützt sind. Es ist also grundsätzliche Aufmerksamkeit geboten. Die Legitimationen theoretischer Systeme und Paradigmen können unter dem Einfluss einschlägiger Interessenzusammenhänge in dramatischer Weise vor wissenschaftlicher Kritik bewahrt werden. Insbesondere dann, wenn die Träger bestimmter Ideologien über institutionelle Positionen öffentliche Akzeptanz erfahren.

In der modernen Welt ist menschliche Autonomie immer mehr durch Technik und Wissenschaft bedingt. Das Machbarkeitsideal wird mehr und mehr wörtlich aufgefasst. Die Wahrheiten, welche im Namen der Wissenschaften verkündet werden, sind nach Foucault immer nur als ein „Ensemble von geregelten Verfahren für Produktion, Gesetz, Verteilung, Zirkulation und Wirkungsweise der Aussagen“ zu betrachten.119 Es gehört zum Credo des Humanismus und der Aufklärung, daß dem metaphysisch obdachlos gewordenen Mensch der Moderne immer die richtige Art von Beeinflussung und Disziplinierung zukommt, denn er ist auf sich selbst zurückgeworfen und verlässt sich ansonsten auf das Wissens- und Deutungsmonopol der Wissenschaft. Foucault hat in seiner grundlegenden Studie Die Ordnung der Dinge darauf aufmerksam gemacht, daß die Möglichkeitsbedingungen des Wissens nicht mehr an ein Subjekt gebunden, sondern in der Denk- und Wissenschaftspraxis verborgen liegen, in der das Subjekt zustande kommt. Heutzutage wird es wichtiger denn je, die Epistemologien der Moderne, die Raster, in denen eine bestimmte diskursive Praxis besteht und funktioniert, aufzudecken. Beispielsweise können fragwürdige gentechnologische Verfahren und andere Forschungspraktiken sehr wohl mit humanistischen Werten legitimiert werden. Vor dem Hintergrund der zentralen gesellschaftlichen Bedeutung des Wissensmonopols Wissenschaft und der darauf beruhenden Fortschrittshoffnung ist es notwendig, auf die herrschenden Rationalitäten, dominanten Denkweisen und dogmatischen Gedankensysteme hinzuweisen, welche im Geflecht der Diskurse Machtwirkungen und Legitimationskraft entfalten. Die moderne Evolutionstheorie beispielsweise bildet das passende Denkraster einer säkularen Moderne,120 in welcher die Biowissenschaften die menschliche Kultur früher oder später als den Versuch betrachten werden, die Zufallseinwirkungen zu bezwingen. Hier geht man dann nicht mehr von einem Bild der Welt aus, wie sie ist, sondern wie sie sein könnte. Welche Episteme der Moderne bestimmen dann letztendlich die Voraussetzungen und Bedingungen des Denkens in den jeweils herrschenden Weltbildern und Rationalitäten, wie diese neue Welt denn auszusehen hat?121 Und wenn die Produkte dieses Konstruierens sich in der Dynamik des Systems in zunehmenden Maße der Beherrschung durch den Menschen entziehen? Aus evolutionärer Sicht kann und muss dafür niemand die Verantwortung übernehmen. 122

Nimmt man die Tendenzen der Biologie, der Neurologie und der cognitive science ernst, dann werden diejenigen geistigen Funktionen des menschlichen Denkens und Reflektierens, die Bedeutungs- und Begründungswissen für das Selbstverständnis des Menschen möglich machen, von naturwissenschaftlichen Modellen der Erkenntnis des Daseins scheinbar aufgehoben oder annulliert. Diese Modelle, so der Soziologe Bernd Ternes, annullieren auch die logische Grundlegung der „bis dato gängigen Differenzen, wie sie in der Begriffsunterscheidung ‚formallogische Rationalität versus transzendental-philosophische Rationalität‘ [...] zur Darstellung kamen.“123 In einer von Technik und Wissenschaft dominierten Welt sollten die Voraussetzungen und Abstraktionen des Denkens kontinuierlich einer kritischen Überprüfung unterzogen werden. Dabei kommt der Verhältnisbestimmung von Wissenschaft und Ideologie eine zentrale Bedeutung zu. Wissenschaftsgeschichte darf nicht nur zur Chronologie verflachen, so müssen auch immer die „konkreten Entstehungsbedingungen der Quasi-Objekte“ verfolgt werden können. „Sind diese einmal durch die Hände der Epistemologen gegangen, so sind sie von ihren Wurzeln abgeschnitten. Übrig bleibt nur das Objekt, herausgelöst aus allen Netzen, die ihm Sinn gaben.“124 Deshalb sollte auch das evolutionäre Paradigma im Kontext biologischer Grundpositionen der politischen Ideengeschichte betrachtet werden.125 Man darf zudem auch nicht vergessen, daß die Vorstellung von der „natürlichen Auslese“ eine der ideologischen Grundlagen des Nazismus war.126

Der religiös entzauberte Mensch sollte sich selbstschützend auch immer die Frage stellen: Warum eigentlich sollen wir daran glauben, daß eine Welt ohne Glauben, aber voller Begründungen eine gute, eine richtige, eine schöne Welt ist? Wo liegen denn die geistesgeschichtlichen Voraussetzungen für diese Begründungen?127 Wir möchten im Sinn behalten, daß menschliche Wahrheit nicht das ist, was die naturwissenschaftliche Methode gestattet. Es gibt lange vor ihr „die uns tragende Wahrheit, die Wahrheit der Hoffnung“, die, wie Jean Grondin es einmal schön zum Ausdruck brachte, „unserer Zeitwanderung Sinn verleiht“.128 Die Besinnung über den Sinn, der aus dem Gespräch des Menschen mit sich selbst und in der Frage nach der eigenen Existenz entspringt, kann durch den Raum des menschlich erreichbaren Wissens, wie ihn die exakten Wissenschaften abstecken, nicht ersetzt werden.

Ich habe in meinen Analysen, so hoffe ich, aufzeigen können, daß im diskursiven Feld zwischen Wissenschaft, herrschenden Lehrmeinungen, Symbolordnungen, Medienwirkungen, öffentlichen Institutionen und Bildungseinrichtungen Wirklichkeiten konstruiert werden können, welche im nachhinein nur von dem Gedankensystem einer kleinen Gesinnungsgemeinde getragen werden. Daß dieser Zustand grundsätzlich möglich ist, liegt u. a. in der Eigendynamik ausdifferenzierter Expertensysteme, öffentlicher Legitimationsverfahren, instrumenteller Machtmechanismen, sowie in den Resonanzböden kultureller Deutungskonzepte begründet. Am einschlägigen Umgang mit der Evolutionstheorie lässt sich die Ideologieanfälligkeit von Wissenschaft gut aufzeigen. Die Evolutionstheorie ist ein wissenschaftliches Erklärungsmodell, was sich nach Popper129 der Falsifikation und der öffentlichen Fachdiskussion stellen muss. Evolutionsideologen bewegen sich dagegen im Schatten der herrschenden wissenschaftlichen Systeme einer säkularen Moderne. Diese Situation führt in der Konsequenz zu einer Verschleierung des Wissens innerhalb etablierter und allgemein anerkannter Wissensordnungen. Ich möchte an dieser Stelle bemerken, daß eine Diskursanalyse notwendig ideologiekritisch sein muß. Daraus resultiert, daß wenn im Gegenstand der Analyse, also in den Medien, nur eine Seite verteidigt und die andere stereotyp abgefertigt wird, eine Diskursanalyse eben auch nur zu einseitigen Ergebnissen kommen kann. Allerdings kann aufgrund der Zielsetzungen der vorliegenden Untersuchung kein Aufschluß darüber gegeben werden, inwieweit die beschriebenen unwissenschaftlichen Kampagnen die wissenschaftliche Untersuchung von Fehlern der Evolutionstheorie wie auch die fachwissenschaftliche Evolutionskritik an sich behindern?

Ich hoffe, daß diese Studie dazu beitragen wird, daß weder Wissenschaftler noch Biologielehrer sich darin befangen fühlen müssen, öffentlich eine wissenschaftliche Theorie in Frage zu stellen. Es ist keineswegs wünschenswert, daß in einer freiheitlichen Gesellschaft die Machtwirkungen der Ideologie des Evolutionismus Forschungseinrichtungen und Schulaufsichtsbehörden solcherart erfassen, daß renommierte Max-Planck-Institute wissenschaftlich „anstößige“ Evolutionskritik aus Internetpräsenzen entfernen und Lehrer, wie kürzlich in Gießen geschehen, öffentlich in den Medien Kritikzurückhaltung bekunden müssen. Die Evolutionsbiologen und Evolutionskritiker, welche in der eingangs erwähnten Tübinger Ringvorlesung beteiligt waren, verband trotz aller inhaltlicher Differenzen die Überzeugung, daß Zweifel und Kritik dem wissenschaftlichen Diskurs förderlicher sind als das Beharren auf traditionellen Positionen, wenn deren Berechtigung öffentlich nicht reflektiert wird.

Wir dürfen gespannt sein, wer als nächstes wegen evolutionskritischer Stellungnahmen von ideologisch motivierten Vertretern innerhalb des Verbandes Deutscher Biologen als „Evolutions-Leugner“ öffentlich gebrandmarkt wird. Die hier aufgezeigte Ideologieanfälligkeit der biologischen Wissenschaften macht u. a. deutlich, daß wir dringender denn je eine kritische Theorie der Naturwissenschaften benötigen. Wir können für die Zukunft nur hoffen, daß die Kultusministerien nicht der Idee verfallen werden, eine Zensurstelle für evolutionstheorie-gefährdende Schriften einzurichten.


1 Vgl. Heinz-Georg Marten, Sozialbiologismus. Biologische Grundpositionen der politischen Ideengeschichte, Frankfurt am Main / New York 1983.
2 Jürgen Habermas, Glauben und Wissen. Friedenspreisrede 2001, in: Jürgen Habermas, Zeitdiagnosen. Zwölf Essays 1980-2001, Frankfurt am Main 2003, 252.
3 Mit dem Ganzen sind die aktuellen Bestrebungen innerhalb der Naturwissenschaften und Philosophie gemeint, der menschlichen Person und ihren spezifischen Fähigkeiten die Sonderstellung abzusprechen und sie wie natürliche Phänomene zu behandeln. Vgl. Edmund Runggaldier, Aktuelle naturalistische Tendenzen in der Deutung des Menschen, in: Josef Quitterer / Edmund Runggaldier (Hg.), Der neue Naturalismus – eine Herausforderung an das christliche Menschenbild, Stuttgart / Berlin / Köln 1999, 15-29.
4 Schwäbisches Tagblatt/Südwestpresse, 1. 4. 91 / 13. 5. 91 / 1. 6. 91 / 7. 6. 91 / 8. 7. 91 / 15. 7. 91.
5 Vgl. Jörg Mey / Robert Schmidt / Stefan Zibulla (Hg.), Streitfall Evolution. Kontroverse Beiträge zum Neodarwinismus, Stuttgart 1995.
6 Spiegel-Online, 11. 10. 2005.
7 Die Zeit, 30. 4. 2003.
8 Vgl. Peter L. Berger / Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt 1980.
9 Vgl. Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge, Frankfurt am Main 1974 und Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt am Main 2003.
10 Reiner Keller, Diskursforschung. Eine Einführung für SozialwissenschaftlerInnen, Wiesbaden 2004, 63.
 
nach oben
11 Vgl. Walter M. Sprondel (Hg.), Die Objektivität der Ordnungen und ihre kommunikative Konstruktion, Frankfurt am Main 1994.
12 Pierre Bourdieu, Die verborgenen Mechanismen der Macht, Hamburg 1992, 88.
13 Vgl. Reiner Keller / Andreas Hirseland / Werner Schneider / Willy Viehöver (Hg.), Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Bd. 2: Forschungspraxis, Opladen 2003.
14 Anthony Giddens, Konsequenzen der Moderne, Frankfurt am Main 1995, 115.
15 Reiner Keller (Anm. 10), 106 f.
16 Willy Viehöver, Die Wissenschaft und die Wiederverzauberung des sublunaren Raumes. Der Klimadiskurs im Licht der narrativen Diskursanalyse, in: Reiner Keller / Andreas Hirseland / Werner Schneider / Willy Viehöver (Hg.) (Anm. 13), 246 ff.
17 Der Kulturkanal Arte widmete sich am 19. September 2006 in einem Themenabend, welcher auch für andere europäische Länder vorgesehen ist, dem „Christlichen Fundamentalismus“ (Moderator: Steffen Seibert). Negative Konnotationen werden allein schon durch die Zusammenstellung und Themenauswahl der drei Reportagen erzeugt. Hier ging es 1. um den „Glaubenskrieg“ um die Evolution, 2. Teufelsaustreibungen an Kindern in Afrika und 3. die „Jesus Revolution Army“.
18 Medienberichten zufolge wird als Auslöser einer Artikelwelle u. a. der Beitrag des Wiener Kardinals Christoph Schönborn in der New York Times („Finding Design in Nature“, 7. Juli 2005) gesehen. Hierzu heißt es beispielsweise in der TAZ: „[...] Seit Schönborns Einlassung im Blatt der New Yorker Intelligenz ist in den bildungsbürgerlichen Milieus aller westlichen Gesellschaften, nun ja, der Teufel los. In allen Zeitungen, ob in der Zeit, der FAZ, im britischen Guardian, im schwedischen Sevenska Dagbladet oder dem spanischen El País, wird debattiert – und die Lehre vom Intelligent Design als das bewertet, was sie ist: ein Hokuspokus, der sich nur dann charmant läse, käme er aus Kindermund [...].“ (TAZ, 1. 9. 2005, 13) Dabei hatte der Kardinal das Evolutionsgebäude gar nicht in Frage gestellt, er wandte sich nur gegen die atheistische Evolutionstheorie. Schönborn selbst vertritt die im christlichen Raum häufig vertretene theistisch-evolutionäre Vorstellung von einer gottgelenkten Evolution, wie sie vor allem von dem Jesuitenpater Pierre Teilhard De Chardin (1881-1955) popularisiert wurde. Schon die heftigen Reaktionen der Presse auf eine nur schwache Kritik verweisen auf die zentrale kulturelle Bedeutung des evolutionären Paradigmas in der Moderne.
19 Vgl. Richard Friebe, Wissenschaft. Kungeln in St. Louis, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 19. 2. 2006.
20 „Etappensieg für die Bibeltreuen [...] Fundamentalismus im Tarnkleid“, in: Spiegel-Online, 10. 11. 2005.
 
nach oben
21 Über die Entstehung und Ausformulierung von Verschwörungstheorien in ihrer jeweiligen Gestalt lesen wir bei Dieter Groh: „Die Realität muss ihnen im Sinn von ‚welcome orientation and structure‘ entgegenkommen. Verschwörungstheorien weisen also nicht nur eine je bestimmte Affinität zur Wirklichkeit auf, sondern sie werden auch von dieser gleichsam angezogen. Damit dieser Mechanismus funktioniert, müssen sie in das vorherrschende Deutungsmuster einer Gruppe, Nation, Kultur, Religion wie der Schlüssel in ein Schloss hineinpassen.“ Hinzu kommt, daß auch ein falsches Bild „immer ein Körnchen Wahrheit enthält und auch enthalten muss, um überzeugend zu wirken.“ (Dieter Groh, Verschwörungen und kein Ende, in: Karl Markus Michel / Tilman Spengler (Hg.), Verschwörungstheorien, Kursbuch 124, Juni 1996, 14) Mit diesen Geschichten in ihrer „falschen Konkretheit“ lassen sich in den Medien hohe Resonanzen erzeugen.
22 Heike Hupertz, Schulmäßig. Arte untersucht den christlichen Fundamentalismus, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. 09. 2006.
23 Der Spiegel widmete sich in der Ausgabe (52 / 24. 12. 2005, 136-150) ausführlich auf 15 Seiten dem Thema „Gott gegen Darwin. Glaubenskrieg um die Evolution.“
24 Der Fall Kansas und andere Gerichtsverfahren zum Thema Biologieunterricht fanden in den deutschsprachigen Medien viel Beachtung. Vgl. beispielsweise „Streit um Schulunterricht über die Evolutionslehre“, in: Die Welt, 11. 05. 2005, „US-Gericht erklärt Kreationismus für verfassungswidrig. Religiöse Interpretation des Lebens an Schulen widerspreche der Neutralitätspflicht des Staates“, in: Die Welt, 22. 12. 2005, „Lehrpläne im US-Staat Kansas. Zweifel an der Evolution“, Süddeutsche Zeitung, 9. 11. 2005, „Kreationismus. Darwin vor Gericht“, in: Die Zeit, 27. 10. 2005.
25 Süddeutsche Zeitung, 12. 7. 2005, 9.
26 Petra Thorbrietz, Vertreibt Gott die Wissenschaft?, in: Focus-Schule (02/2006).
27 Stefan Schmitt, Päpstlicher als der Papst, in: Zeitwissen (1/2006).
28 Diese zentrale Interpretationsfigur findet sich so oder in sinngemäßer Form in zahlreichen Artikeln zum Thema Intelligent Design wieder: So titelt beispielsweise die Berliner Zeitung (Nr. 224, 24./25. September 2005): „Der Trick der Bibeltreuen. Intelligent Design – in den USA wird unter einem neuen Mantel gegen Darwins Theorie von der natürlichen Abstammung des Menschen Front gemacht.“ Unter dem Artikel „Keile für Darwin“ in Zeitwissen (1/06) lesen wir folgenden Text: „In den USA kämpfen Fundamentalisten gegen die Evolutionstheorie im Biologieunterricht – mit einer neuen Strategie: Statt der Sechs-Tage-Schöpfung propagieren sie nun die Lehre vom ‚Intelligent Design‘. Die ersten Schulbezirke sind erobert. Jetzt ist die ganze Gesellschaft dran.“ Die Überschrift zur Wissenschaftskolumne des Kölner Stadt-Anzeigers (Nr. 233, 7. 10. 2005) lautet: „Mit der Bibel gegen Darwin. ‚Intelligent Design‘ als höhere Form des Kinderglaubens.“ In der Ankündigung zur Darwin-Ausstellung in New York (Frühjahr 2006) „Darwin ehren und so ein Zeichen gegen ‚Intelligent Design‘ setzen“ werden in den VDI-Nachrichten (Nr. 1, 6. Januar 2006) Intelligent-Design-Befürworter mit „Religionstheoretikern“ gleichgesetzt. Als weiteres Beispiel sei noch der Artikel von Catherine Bouchon in GEO.de (02/2006) genannt. Er trägt den Titel: „Schöpfer oder Zufall? Darwins Evolutionstheorie ist fast 150 Jahre alt. Und noch immer wird sie von streng gläubigen Christen bekämpft – mit wissenschaftlicher Unterstützung.“ Unter der Teilüberschrift „Die Machenschaften des Discovery Instituts“ heißt es auszugsweise: „[...] Der Biochemie-Professor Michael Behe ist einer der bekanntesten Institutsvertreter. Diese unterstützen Gegner der Evolution mit wissenschaftlich angehauchten Auftritten. [...]“ In der Sendung Forschung aktuell (Deutschlandfunk, 21. 02. 2006) von Sascha Ott, „Darwin in Nöten. US-Forscher fürchten Konfrontation mit konservativen Christen“, hören wir Gilbert Omenn, Präsident der amerikanischen Forschungsvereinigung (AAAS): „Es ist eine ganz spezielle Gruppe von Aktivisten, die versucht, die Wissenschaft mit ihrem Verständnis von Religion zu untergraben. Zum Glück war es aber bisher immer so, daß, wenn es zum Prozeß vor Gericht kam, die wissenschaftliche Sicht dort geschützt wurde.“ Eugenie Scott wird mit den verallgemeinernden Worten zitiert: „In der Wissenschaft gelten nur Naturgesetze. Aber die Intelligent-Design-Befürworter sagen, sie wollen die Wissenschaft ‚öffnen‘. In Wirklichkeit würde es die Wissenschaft zerstören. Und in dieser Hinsicht ist Intelligent Design im Grunde ein Angriff auf jede Art von Wissenschaft.“
29 So finden sich in über 20 Artikeln wichtiger Zeitungen und Magazine unseres Datensamples Zitate des Evolutionsbiologen Ulrich Kutschera. Hinzu kommen Auftritte im Fernsehen (Arte, ZDF u. a.) und Interviews in Fachzeitschriften. Als Vertreter des VdBiol und Mitbegründer der AG Evolutionsbiologie nimmt Kutschera eine zentrale Sprecherposition in den Medien gegen Intelligent Design ein.
30 Zehn der von uns durchgesehenen Leserbriefreaktionen attestieren der Artikelserie der Süddeutschen Zeitung unseriösen Journalismus. Dabei wird vor allem die einseitige Sichtweise, die Unsachlichkeit, Polemik, Wortwahl und die Intoleranz der Artikel kritisiert. (Süddeutsche Zeitung 19. 7. 05 / 20. 07. 05 / 26. 07. 05)
 
nach oben
31 Ich verwende hier den Begriff der herrschenden Theorie, da sich die binnenwissenschaftliche und kulturell-ideelle Durchsetzung des evolutionstheoretischen Paradigmas in den davon ausgehenden institutionell legitimierten Realitätsdefinitionen und der jeweiligen Ressourcenverteilung von Sprecherpositionen deutlich vergegenständlicht.
32 Vgl. Patrick Illinger, Gesagt, geglaubt. „Intelligent Design“ ist weder Wissenschaft noch Religion, in: Süddeutsche Zeitung, 8. 7. 2005; Hubertus Breuer, Himmlisches Design. Weltweit gewinnen die Verfechter einer göttlichen Lenkungstheorie immer größeren Einfluss – das Beispiel USA, in: Süddeutsche Zeitung, 29. 6. 2005.
33 Roland Mischke, „Die machen, was sie wollen“, in: Die Welt, 2. 10. 2006.
34 Heinrich Halbig, Die neue Art der Schöpfung macht Schule. In Hessen unterrichten Lehrer im Fach Biologie die Schöpfungstheorie der Kreationisten, in: Stuttgarter Zeitung, 9. 10. 2006. (Herv. d. Verf.)
35 Ulrich Stoll, Missionieren gegen Darwin, in: ZDF.de, Frontal 21, 15. 11. 2005.
36 Vgl. stern.de Vorab-Meldungen, 21. 9. 2005.
37 So titelte ein Artikel im Spiegel über die Erfolge der „US-Kreationisten“ bei der Schulbehörde in Kansas. (Jochen Leffers, Etappensieg für die Bibelfrommen, in: Spiegel Online, 10. 11. 2005)
38 Wolfgang Löhr, Darwin-Gegner. Ein Forum für Kreationisten, in: Die Tageszeitung (TAZ), 23. 9. 2005.
39 Vgl. Wolfgang Silvanus, Interview „Die Schöpfung ist ein Mythos“. Der Kasseler Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera über die Vereinbarkeit von Glauben und Wissenschaft, in: Natur+Kosmos (12/2005), 25.
40 Petra Thorbrietz, Vertreibt Gott die Wissenschaft? (Anm. 26).
41 Ulrich Kutschera, Low-Price „Intelligent Design“ Schoolbooks in Germany, in: Reports (Sept.-Oct. 2004), 11 f.
42 Leserbrief Prof. Dr. M. Busse, Ohne heilige Gewissheit, in: Süddeutsche Zeitung, 20. 7. 2005.
43 dpa-Meldung, in: Offenbach Post, 12. 10. 2006.
44 Pressemitteilung 188/05, Thüringer Staatskanzlei, 22. 09. 2005.
45 Volker Resing, Streit um die Evolutionstheorie. Althaus befürchtet „Denkverbote“, in: Märkische Allgemeine, 21. 01. 2006.
46 Jens Radü, CDU-Politiker Althaus bietet Kreationisten ein Forum, in: Spiegel-Online, 21. 9. 2005.
47 stern-Vorab-Meldungen, in: stern.de, 21. 9. 2005.
48 Stefan Wogawa, Religion kontra Biologie. Erfurt: Ministerpräsident Althaus will „Wissenschaft und Glauben versöhnen“, in: Junge Welt, 25. 01. 06. Der Spiegel veröffentlichte zwei unterschiedliche Informationen: „Erst die öffentliche Empörung zwang Althaus, den Schöpfungsgläubigen wieder auszuladen.“ (Spiegel, 52/2005, 24. 12. 2005, 144). In Spiegel-Online finden wir unter dem Titel „Darwin-Debatte. Thüringen lädt Evolutionskritiker aus“ die Meldung: „[...] Die Thüringer Landesregierung hat die für Januar geplante Diskussion mit dem Evolutionskritiker Siegfried Scherer abgesagt. Nach dem Rückzieher des ebenfalls als Diskussionsteilnehmer eingeplanten Kasseler Evolutionsbiologen Ulrich Kutschera habe Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) seine Einladung für Scherer nicht aufrechterhalten, teilte ein Regierungssprecher am Dienstag in Erfurt mit.“ (Spiegel-Online, 11. 10. 05).
49 Volker Resing, Streit (Anm. 45).
50 dradio.de, Kulturnachrichten, 23. 01. 06.
 
nach oben
51 Brynja Adam-Radmanic, Ulrich Kutschera über Kreationisten. Götter und Designer bleiben draußen, in: Laborjournal, 06/2006, 19.
52 Arte-Reportage, „Glaubenskrieg“ (Anm. 17).
53 Stefan Schmitt, Keile für Darwin, in: Zeitwissen, 1/2006, 63.
54 Martin Neukamm, Bericht, in: evolutionsbiologen.de/althaus.html (Herv. d. Verf.).
55 Hermann Binkert, E-Mail vom 7. 11. 2006.
56 Vgl. Artikel „Evolution und Schöpfung. Ein Ministerpräsident gegen den Strom“, worin auch das Interview der Evangelischen Nachrichtenagentur (idea) mit Siegfried Scherer wiedergegeben wird, in: kathnet, 24. 9. 2005. Das Westfalenblatt beschäftigt sich im Artikel „Gesucht und nicht gefunden. Theorie von der Höherentwicklung der Arten gibt bis heute Rätsel auf“ mit der wissenschaftlichen Evolutionskritik Scherers (Westfalenblatt, 6. 10. 2005)
57 Vgl. Brynja Adam-Radmanic, Ulrich Kutschera (Anm. 51), 16.
58 Nachrichten, Erfurter Dialog: Theologen und Biologen über den Kreationismus, in: glaubeaktuell.net, 26. 1. 2006.
59 Max Planck, Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaft (Vortrag, gehalten zuerst im November 1941 im Goethe-Saal des Harnack-Hauses der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften zu Berlin), als Textfassung herausgegeben von Fritz Krafft in der Reihe „Naturwissenschaftliche Texte bei Kindler“ München 1971, 18 f.
60 Ulrich Kutschera, Streitpunkt Evolution. Darwinismus und Intelligentes Design, Münster 2004, 200.
 
nach oben
61 idea Nachrichten, Max-Planck-Institut: Streit um die Evolutionstheorie, (Sonntag, 4. Mai 2003, 18:54 PST).
62 Ulrich Kutschera, Streitpunkt (Anm. 60).
63 http://www.weloennig.de/internetlibrary.html
64 Vgl. Interview mit Wolf-Ekkehard Lönnig, in: Hessische Allgemeine, „Keine Bedrohung der Wissenschaft“, 24./25. 6. 2006.
65 Vgl. Wolf-Ekkehard Lönnig, Antwort auf die Versuche und Methoden von Ulrich Kutschera, meine Homepage (und damit naturwissenschaftliche Argumentation) am MPIZ verbieten zu lassen, in: weloennig.de/internetlibrary.html
66 Ulrich Kutschera, Streitpunkt (Anm. 60), 197 f., vgl. Biologen heute (464/6, 2002).
67 Op. cit., 194, vgl. Biologen heute (462/4, 2002).
68 Op. cit., 197-201, vgl. Biologen heute (464/6, 2002); weloennig.de/internetlibrary.html.
69 Werner J. Gieffers, Gedanken zur Begründung der Namenserweiterung der Sektion 8 in der Leopoldina durch Bert Hölldobler, in: weloennig.de/internetlibrary.html.
70 Ulrich Kutschera, Streitpunkt (Anm. 60), 221 f.
 
nach oben
71 Op. cit., 222.
72 „[...] Doch eine Analyse des kurzen Berichts von Herrn Prof. Dr. Dr. hc. Bert Hölldobler zu dieser Umbenennung führt zu grundsätzlichen Fragen und Anmerkungen zum Wissenschaftsverständnis, zur Freiheit der Forschung und zur Toleranz. [...]“ (W. J. Gieffers, Anm. 67).
73 „[...] Ich möchte vorschlagen, dass Kommentatoren meine Homepage erst einmal gründlich studieren, bevor sie sie als ‚Unsinn‘ beschimpfen.“ (W.-E. Lönnig, Anm. 67).
74 Ulrich Kutschera, Streitpunkt (Anm. 60), 224.
75 Einen Tag nach der Web-Site-Sperrung richtete der Präsident des VdBiol, Jacobsen, folgende Worte an Lönnig: „Lieber Herr Lönnig, wir haben Ihre E-Mail betreffs der Schließung Ihrer Homepage erhalten. Lassen Sie mich kurz darauf eingehen, dass dies nach meinen Recherchen nicht auf unsere oder die Aktivitäten von Prof. U. Kutschera zurückzuführen ist, sondern offenbar auf Ihre Anwürfe gegen Herrn Prof. B. Hölldobler, der sich an das Max-Planck-Präsidium gewandt hat.“ (in: Ulrich Kutschera, Streitpunkt (Anm. 60), 229) Unter Berücksichtung der politischen Interventionen Kutscheras und Jacobsens in Bezug auf Scherers evolutionskritisches Lehrbuch erhalten diese Worte im Hinblick auf die verantwortlichen Akteursbeziehungen ihre ganz eigene Bedeutung.
76 Op. cit., 224.
77 Vgl. Laborjournal, Max-Planck-Gesellschaft. Schluss mit Kreationismus, 04/2003.
78 Diese Aussage ist nach Lönnigs Angaben nicht richtig. Der Disclaimer bestand in seiner damaligen Form schon seit 1997. (weloennig.de/internetlibrary.html)
79 Vgl. Interview: „Fühle mich gründlich missverstanden“. Wolf-Ekkehard Lönnig über die Sperrung seiner wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Instituts-Server, in: factum, 4/2003, 38 f.
80 Alison Abbott, Axing of website article sparks row at Max Planck, in: Nature, Vol. 422, 3. April 2003.
 
nach oben
81 Axel Meyer, Evolution – ein Bastelprozess. Die Idee des Intelligent Design ist keine wissenschaftliche Denkschule und keine Alternative zu Darwins Lehre, in: Die Welt, 25. 8. 2005. Ein Interview des Deutschlandfunks mit Axel Meyer endet mit den Worten: „[...] Denn die Evolutionsbiologie ist wahrscheinlich sogar besser als die meisten anderen biologischen Teildisziplinen in einem Theoriegebäude verankert, das seit 150 Jahren ausgebaut wird, verfeinert wird, aber nicht umgestoßen wird.“ (dradio.de, Plan kontra Darwin. Auch in Deutschland stellen sich Schöpfungsanhänger gegen die Evolutionstheorie. Grit Kienzlen im Gespräch mit Prof. Axel Meyer, 21. 9. 2005)
82 Ulrich Kutschera, Designer scientific literature, in: Nature, Vol. 423, 8 May 2003.
83 Vgl. Wolf-Ekkehard Loennig, Science at the Beginning of the 21st Century: A few Questions and Comments Concerning the Article „Designer Scientific Literature“ by Ulrich Kutschera, in: weloennig.de/internetlibrary.html
84 Urs Willmann, Entwürfe in Gottes Namen, in: Die Zeit, 30. 4. 2003 (http://zeus.zeit.de/text/2003/19/Kreationisten).
85 Eine „ausführliche Diskussion“ sowie die Reaktionen zum Zeit-Artikel können in der Internet-Library von Wolf-Ekkehard Lönnig eingesehen werden.
86 „Deutschland ist nicht Amerika. Hier hat die Religion ihren Platz neben der Wissenschaft, nicht in ihr. Man wertet diese Leute nur auf, wenn man sie ernst nimmt. Die Evolution ist keine Theorie, sondern eine Tatsache. [...] Kein ernsthafter Wissenschaftler, auch nicht unter denen, die religiös sind, stellt die Evolution in Frage, [...] bei uns sind die Kreationisten nur eine Seifenblase. In Amerika sind sie leider eine Tatsache!“ (Bert Hölldobler, in: Focus-Schule, 2/2006).
87 In der Intelligent-Design-Medienberichtserstattung werden sehr häufig, insbesondere vor dem Hintergrund amerikanischer Verhältnisse, in undifferenzierter Weise politisch aktive und radikale Fundamentalistengruppen, Kreationisten, evangelikale Freikirchen und Zeugen Jehovas in einem Atemzug genannt. So können beispielsweise aus dem Bibelverständnis der Zeugen Jehovas in keinerlei Weise fundamentalistische, militante Verhaltensweisen abgeleitet werden. Religionssoziologische und historische Studien sowie die Schriften der Religionsgemeinschaft belegen, daß Jehovas Zeugen gerade wegen ihrer politischen Neutralität und konsequenten Gewaltlosigkeit in vielen Ländern verfolgt wurden. Jehovas Zeugen achten im Normalfall die gesetzgebende und die vollziehende Gewalt des Staates (vgl. Gerhard Besier / Clemens Vollnhals (Hg.), Repression und Selbstbehauptung. Die Zeugen Jehovas unter der NS- und der SED-Diktatur, Berlin 2003, Christoph Auffarth / Jutta Bernard / Hubert Mohr (Hg.), Metzler Lexikon Religion. Gegenwart-Alltag-Medien, Band 3, Stuttgart/Weimar 2000, 708711).
88 Folgt man der religiösen Literatur der Zeugen Jehovas, so glaubt Lönnig an den Schöpfungsbericht der Bibel, daß das Universum einen Anfang hatte und daß das Leben allmählich und schrittweise über längere Zeiträume von Gott geschaffen wurde. Nachdem Bibelverständnis der Zeugen Jehovas handelt es sich bei den Schöpfungstagen nicht um buchstäbliche 24-Stunden-Tage. Das hebräisch übersetzte Wort für „Tag“ kann, folgt man dem Schrifttum der Zeugen Jehovas, verschiedene Zeitspannen (Schöpfungsperioden) bedeuten. Damit unterscheiden sich Zeugen Jehovas in ihrem Bibelverständnis beispielsweise von Ansichten anderer christlicher Gruppen, welche u. a. davon ausgehen, daß die gesamte stoffliche Schöpfung vor etwa 10.000 Jahren an sechs Tagen von je 24 Stunden (vgl. Kreationismus/Kurzzeit-Schöpfungslehre) erschaffen wurde. (Erwachet, Sonderausgabe. Gibt es einen Schöpfer?, September 2006, 18-20.)
89 Cord Riechelmann, Kann das alles Zufall sein?, in: Jungle World, 21. 12. 2005.
90 Peter Gruss, Wissenschaft leistet Lotsendienste, in: Max-Planck-Forschung, 1/2006.
 
nach oben
91 Max-Planck-Forschung, 1/2006, 15.
92 Brynja Adam-Radmanic, Ulrich Kutschera (Anm. 51), 19.
93 Im Internet-Disclaimer des MPIZ distanziert sich die Max-Planck-Gesellschaft von verknüpften Seiten (Links), wenn diese „rechtswidrige oder anstößige Inhalte enthalten“, was im Umkehrschluß so gut wie bedeutet, daß die Evolutionskritik Lönnigs im Wortsinn der rechtlichen Hinweise „anstößig“ ist. (mpikoeln.mpg.de/metanavi/impressum/index.html).
94 Briefe an die Reaktion, MPIZ Köln: Distanzierung, in: Laborjournal, 9/2006.
95 Andreas Dippel, „Arte“ und der fundamentalistische Glaubenskrieg, in: Christliches Medienmagazin pro (pro-medienmagazin.de), 20. 9. 2006.
96 Vgl. kathnet, 24. 9. 2005.
97 Westfalenblatt, 6. 10. 2005.
98 factum, 4/2003.
99 Hessische Allgemeine, 24/25. 6. 2006.
100

www.wort-und-wissen.de

 
nach oben
101 www.genesisnet.info
102 Vgl. Cord Riechelmann, Kann das alles Zufall sein?, in: Jungle World, 21. 12. 2005; Uwe Justus Wenzel, Religion als Wissenschaft – Wissenschaft als Weltanschauung?, in: Neue Zürcher Zeitung, 31. 10. 2005; Barbara Hobom, Die Frage der Herkunft. Viele Menschen halten nichts von der Evolutionstheorie, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. 8. 2006.
103 Zeitwissen, 1/2006.
104 Frontal 21, ZDF, 15. 11. 2005.
105 www.evolutionsbiologen.de/althaus.html
106 Schreiben des Verbandes Deutscher Biologen vom 25. 10. 2006. Unterzeichnet haben 13 Personen, darunter finden sich viele Namen, welche auch in Verbindung mit den vorgestellten Story lines immer wieder genannt wurden, wie z. B. U. Kutschera, H. J. Jacobsen, A. Meyer, U. Hossfeld und M. Neukamm.
107 Die Welt.de, Biologie: Zahl der Evolutions-Leugner steigt, 30. 10. 2006 (dpa).
108 www.giordano-bruno-stiftung.de
109 Michael Schmidt-Salomon, Manifest des evolutionären Humanismus. Plädoyer für eine zeitgemäße Leitkultur, Aschaffenburg 2005.
110 Vgl. Evolution/Kreationismus Befragte ab 14 Jahren, fowid, 4. 10. 2005.
 
nach oben
111 Vgl. the-brights.net/people/enthusiastic/, Uwe Justus Wenzel von der NZZ hat schon auf den Zusammenhang zwischen den „Brights“ und der Giordano-Bruno-Stiftung aufmerksam gemacht (Religion als Wissenschaft – Wissenschaft als Weltanschauung?, in: NZZonline, 31. 10. 2005).
112

In diesem Zusammenhang ist auch eine Betrachtung zu den Rollen atheistischer Organisationen, wie beispielsweise der Atheist Alliance International und der American Humanist Association, im eingangs erwähnten amerikanischen Dover-Prozeß von Bedeutung. Vgl. hierzu die Kritik an den Richter John E. Jones III’s (siehe auch Abschnitt„Wissenschaftsfeinde“, E1 / Beispiel A / 1. Textauszug, SP), in: David K. De-Wolf / John G. West / Casey Luskin / Jonathan Witt: Traipsing into Evolution. Intelligent Design and the Kitzmiller v. Dover Decision (Discovery Institute Press), Seattle 2006, 59-71.

113 Der Spiegel, 43/2006, 188.
114 Brynja Adam-Radmanic, Ulrich Kutschera (Anm. 51), 18.
115 Patrick Bahners, Das verschleierte Weltbild zu Kassel, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. 11. 2006, vgl. Evangelische Nachrichtenagentur idea, Streit um Schöpfung und Evolution nimmt kein Ende, 1. 11. 2006.
116 Günther Pöltner, Keine Neuauflage Glaube vs. Wissenschaft, in: diepresse.com, 27. 07. 2005.
117 Vgl. Theodor Geiger, Kritische Bemerkungen zum Begriff der Ideologie, in: Hans-Joachim Lieber (Hg.), Ideologie – Wissenschaft – Gesellschaft. Neuere Beiträge zur Diskussion, Darmstadt 1976, 171-191.
118 Vgl. Heinz Abels / Horst Stenger, Gesellschaft lernen, Opladen 1989, 68.
119 Michel Foucault, Dispositive der Macht, Berlin 1978, 53f.
120 Bezugnehmend auf die ideologische Funktion der Evolutionstheorie ist der Sozialdarwinismus in Deutschland noch oder wieder weit verbreitet. Im Rahmen einer von der Friedrich Ebert Stiftung in Auftrag gegebenen Studie über „Rechtsextreme Einstellungen und ihre Einflussfaktoren in Deutschland“, wurde eine Gesamtgruppe (n = 4876, davon n = 3876 Westdeutsche) u. a. mit folgender Aussage konfrontiert: „Wie in der Natur sollte sich in der Gesellschaft immer der Stärkere durchsetzen.“ 17,7% stimmten „voll und ganz“ oder „überwiegend“ zu. Weitere 21% finden sich unter der Rubrik „stimme teils zu, teils nicht zu“. (Oliver Decker / Elmar Brähler, Vom Rand zur Mitte, Berlin 2006, 33)
 
nach oben
121 So zeigt beispielsweise die kürzlich erschienene „Bioethik“ des Evolutionstheoretikers Franz Wuketits sehr deutlich, wie schwer sich Evolutionisten darin tun, mit moralischen und ethischen Fragestellungen angemessen umzugehen. Frank Wuketits ist auch Mitglied im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung. Vgl. Franz M. Wuketits, „Bioethik“. Eine kritische Einführung, München 2006; Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. 10. 2006.
122 Vgl. Sjoerd van Tuinen, Peter Sloterdijk. Ein Profil, Paderborn 2006.
123 Bernd Ternes, Versuch, die Fortsetzungen totalitärer Vernunft nach ihrer modernen Etappe aufzusuchen im Radikalen Konstruktivismus und in der Systemtheorie, in: Bernd Ternes: Soziologische Marginalien 2. Aufsätze, Marburg 2000, 61.
124 Bruno Latour, Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie, Berlin 1995, 125.
125 Vgl. Heinz-Georg Marten, Sozialbiologismus (Anm. 1)
126 Op. cit., 160-187. Vgl. Ute Deichmann, Biologen unter Hitler. Porträt einer Wissenschaft im NS-Staat, Frankfurt am Main 1995.
127 Vgl. Udo Di Fabio, Die Kultur der Freiheit, München 2005.
128 Jean Grondin, Vom Sinn des Lebens, Göttingen 2006, 107.
129 Vgl. Karl R. Popper, Lesebuch. Ausgewählte Texte zu Erkenntnistheorie, Philosophie der Naturwissenschaften, Metaphysik, Sozialphilosophie, Tübingen 1997.
 
nach oben

Internet address of this document: internetlibrary.html
© 2008 by Wolf-Ekkehard Lönnig LoennigWE@aol.com
Disclaimer