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WAHRSCHEINLICHKEIT AUF MOLEKULARBIOLOGISCHER EBENE

 

Wir wollen jetzt unsere Überlegungen auf die molkularbiologische Ebene ausdehnen und nachsehen, wohin uns hier die Wahrscheinlichkeitsrechnung führt. Dabei ist die Frage, wieviel Gene an der Bildung des Auges beteiligt sind, von größtem Interesse.

Auf der Seite 6 haben wir erwähnt, dass es über 300 erbliche und mendelnde Augenkrankheiten (z.T. im Rahmen von Syndromen) beim Menschen gibt. An der Bildung der meisten solcher von pathologischen Veränderungen betroffenen Augenstrukturen ist nun nicht nur ein einziges Gen, sondern eine ganze Serie von Genen beteiligt (Polygenie). Prof. Klein (Institut de Génétique Médicale, Clinique Universitaire d'Ophtalmologie, Hôpital Kantonal, Genf), der zusammen mit A. Franceschetti nach jahrzehntelangen Studien dieser Fragen das Thema "Mißbildungen und Krankheiten des Auges" in P.E. Beckers Handbuch der Humangenetik9) bearbeitet hat, stellte in einem Gespräch am 6.9.76 zur Frage nach der am Auge beteiligten Genzahl fest, dass es sich hier um mindestens 6 000 (sechstausend) Gene handelt. Dass es sich dabei um eine Mindest- oder Minimalzahl handelt, wurde wiederholt betont. Was allein diese Genzahl für den Neodarwinismus bedeutet, geht aus einer Bemerkung von J.B.S. Haldane, dem bekannten Selektionstheoretiker und Biostatistiker, hervor, der in Unkenntnis des wahren Sachverhalts einmal sagte: "...wenn das Auge aus tausend unabhängig variablen Teilen bestehen würde, die alle mehr oder weniger genau zusammenpassen müßten, dann würde ihr Zusammenpassen ein Wunder sein. Aber die Dinge liegen tatsächlich anders." ("...if the eye consisted of a thousand independently variable parts, all of which had to fit more or less adequately, then their fitting would deserve the title of a miracle. But actually things are not like that.") Wie die inzwischen erforschten Tatsachen zeigen, liegt die Zahl der Erbfaktoren jedoch wesentlich höher als 1000, geht also beträchtlich über das "Wunder" Haldanes hinaus. Die nach Prof. Klein zitierte Mindestzahl wollen wir im Auge behalten, wenn wir uns zunächst nur mit den Wahrscheinlichkeitserwägungen zur Bildung eines einzigen Gens beschäftigen.

Der bekannte Biochemiker P. Karlson hat zum Genbegriff in seinem Lehrbuch der Biochemie (1974, pp. 114/115) folgendes zu berichten:

Die Erbfaktoren oder Gene sind zunächst als biologische Einheiten definiert worden, und zwar durch die Fähigkeit zur Merkmalsauslösung, zur identischen Reproduktion und zur Mutation.

Im Erbexperiment wird das Verhalten bestimmter erblicher Merkmale (z.B. Haarfarbe, morphologische Besonderheiten, Vorkommen oder Fehlen bestimmter Stoffe oder Stoffwechselfunktionen) untersucht. Die Erbfaktoren oder Gene sind auf den Chromosomen lokalisiert und werden nach den bekannten MENDELschen Gesetzen vererbt. Man schließt aus dem Auftreten des Merkmals (unter Berücksichtigung von Dominanz und Rezessivität) auf das Vorhandensein des Erbfaktors. ...

Die Substanz, aus der die Erbfaktoren oder Gene aufgebaut sind, ist die Desoxyribonukleinsäure. Jeder einzelne Erbfaktor hat sein chemisches Äquivalent in einer zugehörigen DNA, die durch eine bestimmte Basensequenz gekennzeichnet ist. Die "Information", die das Gen in sich trägt und die sich in der Merkmalsprägung äußert, liegt in der Sequenz der Basen: Die Basensequenz determiniert die Struktur (d.h. die Aminosäuresequenz) der Proteine, und zwar in der Weise, daß eine bestimmte Gruppe von drei Basen eine bestimmte Aminosäure bedeutet. Der Abschnitt aus der DNA-Kette, der die Information für ein Protein (eine Polypeptid-Kette) trägt, wird auch Strukturgen genannt; er ist mit der Einheit der Funktion (Merkmalsauslösung) identisch. Mutationen können jedoch an verschiedenen Stellen innerhalb des Strukturgens auftreten.

Zum Thema Gen-Mutation schreiben Hadorn/Wehner in ihrer ALLGEMEINEN ZOOLOGIE (1974, pp. 66/68):

Im einfachsten Fall kann eine Genmutation darauf beruhen, daß nur eine einzige Base des DNS-Codes geändert wird... Da das Gen als Funktionseinheit sich aber über Hunderte bis Tausende von Basen erstreckt, werden als Einzelgenmutationen auch die verschiedenartigsten Veränderungen registriert, die mehrere bis viele Basen erfassen.

Zum Thema Mutationsraten und Vitalitätsspektrum bemerken die Verfasser auf p. 75 u.a.:

Für Einzelgene von Drosophila wurden spontane Mutationsraten von 1 : 104 bis 1 : 106 bestimmt. Werte dieser Größenordnung konnten auch für die Gene des Menschen errechnet werden. So beträgt die Wahrscheinlichkeit, daß in einer Generation eines der Normalgene für Blutgerinnung zu einem Hämophiliegen mutiert, etwa 2 - 4 : 100000. Doch verhalten sich verschiedene Gene unterschiedlich stabil.

Nach Hinweis auf die kumulative Wirkung mutagener Strahlung und die Strahlenschutzgesetze, heißt es weiter:

Eine Mutationsprophylaxe ist deshalb notwendig, weil über 90% der Neumutationen die Lebenseignung beeinträchtigen. Es entstehen in großer Zahl Änderungen der Erbsubstanz, die als Letalfaktoren die Entwicklung aller Träger auf irgendeinem Stadium blockieren. Bei anderen häufigen Mutationen erliegt mindestens die Hälfte der Träger dem Entwicklungstod (Semiletalfaktoren). Groß ist auch der Anteil der Subvitalfaktoren, welche die Lebenseignung soweit herabsetzen, daß bis zu 50% der Belasteten das fortpflanzungsfähige Alter nicht erreichen. Aber auch die Überlebenden unter den Neumutierten weichen häufig von der Normalität ab. Sie können in mannigfacher Weise mißgebildet sein. Höchstens 10% aller Mutationen bewirken Phäne, die unter den gegebenen Umweltverhältnissen kaum nachweisbare Nachteile bringen. Dazu gehören u.a. einzelne Farb- und Formmerkmale. Schließlich aber entstehen als seltene Ereignisse auch neue Genzustände, die sich gegenüber den Ausgangstypen vorteilhaft auswirken (Supervitalfaktoren). [Kursiv von mir.]

Diesen Begriff der "seltenen Ereignisse" wollen wir jetzt versuchen, schärfer zu fassen. Hadorn/Wehner erwähnen für das seltene Auftreten von "Supervitalfaktoren" zwei allgemeine Gründe, die wir dem Leser nicht vorenthalten möchten. Der erste beruht auf wiederholt gemachten sicheren Beobachtungen, der zweite Grund setzt die neodarwinistische Evolutionstheorie voraus:

Erstens beruhen Mutationen auf zufallsmäßigen Ereignissen, die weder durch die Natur des mutagenen Mittels noch durch besondere Bedürfnisse der Organismen günstig gerichtet werden können; zweitens ist in der Erbsubstanz einer jeden Art ein durchexperimentiertes System von Informationsträgern vereinigt. Unvorstellbare zahllose Änderungsmöglichkeiten wurden im Lauf der Jahrmillionen probiert und verworfen. So besteht nur eine geringe Wahrscheinlichkeit dafür, daß ein zufällig neuer Genzustand oder eine neue Genkombination dem Altbewährten überlegen sein kann.11)

Über die genaue Wahrscheinlichkeit der "seltenen Ereignisse" erfahren wir damit noch gar nichts. Übrigens betrifft der Punkt 2 doch auch die Organismen, die nach gängiger geologischer Zeitrechnung vor 100 oder 200 Millionen Jahren gelebt haben sollen. Auch bei ihnen waren "unvorstellbar zahllose Änderungsmöglichkeiten" im Laufe der (angenommenen) vorangegangenen rund 400 Millionen Jahre probiert und verworfen worden. Sie waren also ebenfalls ein durchexperimentiertes System von Informationsträgern und der anschließend zitierte Satz von der geringen Wahrscheinlichkeit des Auftretens neuer Genzustände, die dem Altbewährten überlegen sein sollten, gilt auch für diese.

Genaueres zum Thema, wie groß (oder besser: wie gering) nun die Wahrscheinlichkeit des zufälligen Auftretens neuer Gene ist, erfahren wir von dem Physiker Prof. W. Heitler (Universität Zürich).

Hören wir zunächst seine Definition des Begriffs "Zufall" (1970, p. 47):

Beim Verhalten rein physikalischer Systeme hat der Zufall einen klar umrissenen Sinn. Das Verhalten solcher Systeme ist ja nicht durch das physikalische Gesetz allein bestimmt, sondern auch durch die zu einem bestimmten Zeitpunkt vorliegenden Anfangsbedingungen und die äußeren, während des Verhaltens auftretenden Einwirkungen. Die Anfangsbedingungen sind ebenfalls durch frühere äußere Einwirkungen mitbestimmt. Diese sind bei den Vorgängen der Natur zahlreich und unvorhersagbar. Für mehrere gleichgeartete Systeme werden diese Einwirkungen ganz verschieden ausfallen, ohne daß ein besonderer Grund für die eine oder andere Art der Wirkung angegeben werden kann.

Zum Beispiel: Die Chromosomen sind dem Mutationserreger der natürlichen Radioaktivität der Erde ausgesetzt. Wann und an welcher Stelle des Chromosoms ein Strahlungspartikel auftrifft, ist nicht vorherbestimmbar. Diese Art äußerer Einwirkungen ist eben zufällig. Ebenso können Wirkungen innerhalb des Organismus zufällig sein. Außerdem spielt bei molekularen Prozessen, um die es sich ja handelt, der Indeterminismus der Quantentheorie eine Rolle - ein weiteres Element der Zufälligkeit. In diesem Sinn wollen wir vom Zufall der physikalischen Wirkungen sprechen.12)

Die Quanteneinflüsse gehören zu den Faktoren, die prinzipiell 'zufällig' sind (1969, p. 76):

Es wird immer unmöglich sein, den Zeitpunkt eines radioaktiven Zerfalls vorherzusagen, weil das den Gesetzen der Quantenmechanik widerspricht. Hier liegt eine grundsätzliche Unbestimmtheit vor. Wo es sich in der Biologie um atomare oder molekulare Prozesse handelt, spielt auch diese Unbestimmtheit eine Rolle. Schon aus diesem Grunde ist es ganz ausgeschlossen, daß irgendwo ein vollständig determiniertes Verhalten vorliegt.13)

Über die Wirkung des physikalischen Zufalls für unsere Fragestellung schreibt Heitler (1970, pp. 47/48):

Eine wichtige Eigenschaft des physikalischen Zufalls ist, daß er fast nie Ordnung aufbaut, sondern fast immer Ordnung zerstört. Je größer und komplizierter das betrachtete System ist, desto unwahrscheinlicher ist es, daß Zufall Ordnung aufbaut, desto größer ist die ordnungszerstörende Kraft des Zufalls. Der Grund hierfür ist eben einfach der, daß es sehr viel mehr ungeordnete Zustände gibt als geordnete, und zwar, je größer das System ist, desto größer ist die Zahl der ungeordneten Zustände, verglichen mit den geordneten. Als Beispiel legen wir 5 Steine, numeriert von 1 bis 5, nebeneinander. Es gibt nur einen geordneten Zustand, bei welchem die Reihenfolge 1, 2, ...5 ist. Es gibt aber im ganzen 120 Anordnungen, von denen also 119 nicht oder unvollständig geordnet sind. Bei 10 Steinen gibt es eine geordnete Anordnung, aber über 5 Millionen ungeordnete Anordnungen! Wenn wir dem Zufall einen Einfluß auf die Anordnung einräumen (sie etwa nach blindem Zufall hinlegen), dann ist es höchst unwahrscheinlich, gerade den geordneten Zustand zu erwischen.

Damit dürften die physikalischen und biologischen Voraussetzungen für die nächsten Wahrscheinlichkeitsüberlegungen klargelegt sein.

Wenn wir uns dabei noch vergegenwärtigen, dass am Aufbau des menschlichen Auges wenigstens 6 000 Gene beteiligt sind, wobei jedes einzelne Gen als Funktionseinheit aus einer spezifischen Folge von "Hunderten bis Tausenden" Nukleotiden besteht, dann dürfen wir bei den folgenden Berechnungen, die sich auf die Entstehung eines einzigen neuen Gens beschränken, zur Frage nach der Entstehung des Auges den Exponenten getrost mit 6 000 multiplizieren. Walter Heitler schreibt (1970, pp. 48/49):

Wir wissen nicht genau, welches die genaue Anordnung der Nukleotide in einem Organismus ist. Aber es ist leicht, eine obere Grenze für die Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Neu-Anordnung anzugeben. Wir wissen folgendes: Im Code des DNS-Moleküls entspricht ein Gen einer Länge von einigen hundert bis tausend Nukleotiden. Es besteht kaum viel Freiheit in der Anordnung der Nukleotide, wenn das Gen intakt sein soll. Manchmal kann der Ersatz eines einzigen Nukleotids durch ein "falsches" erhebliche Störungen im Organismus verursachen. Es handelt sich um das "chemische Gen", das morphologisch wirksam gedacht ist.

Wenn eine günstige Makromutation auftreten soll, dann ist es gewiß eine ganz grobe Unterschätzung, wenn wir annehmen, daß wenigstens ein Gen neu aufgebaut oder neu umgestaltet werden muß. Wiederum stark untertreibend, wollen wir also annehmen, daß eine ganz bestimmte Anordnung (oder Neuanordnung) von 100 Nukleotiden nötig ist, um eine Makromutation herbeizuführen. Physikalisch gesehen, besteht keinerlei Grund dafür, daß eine Anordnung einer andern gegenüber besonders bevorzugt ist. Die physikalisch-chemischen Kräfte wirken nur in die Nachbarschaft. Da erfahrungsgemäß praktisch jedes Nukleotid zu jedem andern Nachbar sein kann, so sind auch praktisch alle Anordnungen physikalisch möglich und müssen von vornherein als im wesentlichen gleich wahrscheinlich angesehen werden. Offen bleibt höchstens noch die Frage, wie viele Anordnungen biologisch äquivalent sein können. Bestimmtes wissen wir nicht. Die Tatsache, daß ein einzelnes, ausgewechseltes Nukleotid schon erhebliche Störungen verursachen kann, zeigt, daß es sicher nicht viele sein können. Dies geht auch daraus hervor, daß es in der ganzen Natur unzählige verschiedene Gene gibt (bei Bakterien, Fröschen, Affen, Menschen, nicht nur in jedem einzelnen Organismus), die sich nur durch ihre Nukleotidanordnung unterscheiden.

Nehmen wir also an, daß nur eine Anordnung, in einem einzigen Gen, von nur 100 Nukleotiden, 25 von jeder Art, zur Makromutation führt. Dann ist die Zahl der Anordnungen 100!/ (25! x 25! x 25! x 25!) = 1060*, also eine Zahl mit 60 Nullen! Die Wahrscheinlichkeit, "die eine richtige Anordnung" durch Zufall zu finden, ist also 1 : 1060. Bei einer Genlänge von 200 Nukleotiden wäre das Verhältnis schon 1 : 10120. Und dabei ist diese Zahl in fast jeder Hinsicht eine übermäßige Überschätzung der Wahrscheinlichkeit. Hätten wir statt eines Gens die ganze Länge der DNS-Moleküle betrachtet, dann wäre die Zahl der Anordnungen der Nukleotide eine Zahl mit Tausenden bis Millionen von Nullen!

Wenn wir annehmen wollten, daß die je 3 Nukleotide, die ein "Wort" bilden, aus irgendwelchen physikalischen Gründen schon fest verbunden sind, so daß also nur die Anordnung der "Worte" (und damit der Aminosäuren im Eiweiß) dem Zufall überlassen ist, so ändert auch das nichts Wesentliches. Ein Gen bestehe etwa aus 60 Worten (180 Nukleotiden) und es seien je 3 der 20 möglichen "Worte" vorhanden. Dann ist die Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Anordnung der Worte 1 : 1065.

Nun ist es möglich, daß unter diesen vielen Anordnungen auch solche vorkommen, die einem lebensfähigen Organismus entsprechen. (Wir bleiben immer beim Bild des DNS als dem einzigen bestimmenden Faktor.) Dieser könnte etwa einer Zwischenstufe° zwischen Reptil und Vogel entsprechen, und zuerst einmal durch die Selektion stabilisiert werden. Das ändert an der Rechnung nichts. Indem wir die Zwischenstufen ignorieren, berücksichtigen wir die Selektion in der Weise, daß wir ihnen eine Überlebenszeit 0 zuschreiben, also die Entwicklungsdauer zu kurz ansetzen. Schließlich muß ja doch das Vogel-Gen entstanden sein.

Was schon eine Zahl von 1060 für die Möglichkeit einer günstigen Neuanordnung bedeutet, können wir folgendermaßen sehen: Nehmen wir an, in einem Organismus ändert sich ständig die Anordnung von Nukleotiden, um ein neues Gen zu bilden. Die Zeitdauer, die für eine Neuanordnung benötigt wird, sei 10-12 Sekunden. Dies ist viel zu kurz; atomare Prozesse brauchen meistens viel länger und molekulare Prozesse noch länger. Nehmen wir ferner an, es gäbe eine Population von 1015 Individuen (1000 Billionen) eines solchen Organismus, was sicher viel zu viel ist. (Die gegenwärtige Menschheit besteht aus (4) Milliarden Individuen). Dann würde es 1033 Sekunden = 3 x 1025 Jahre dauern, bis in einem einzigen Individuum das neue Gen entstanden Ist. Das ganze Universum besteht sicher nicht länger als 1012 Jahre. Das Universum müßte also mehr als 10 Billionen mal seine ganze bisherige Geschichte durchlaufen, bevor auch nur einmal das neue Gen in einem einzigen Individuum entstanden ist! Das ist natürlich völlig unsinnig. Um diese für die Zufallshypothese katastrophalen Zahlen zu umgehen, sprechen manche Biologen von einer "Zielstrebigkeit" im Aufbau solcher Nukleotidenketten. Damit ist aber der Boden der Physik verlassen - denn diese kennt keine Zielstrebigkeit - und eine spezifisch biologische Gesetzmäßigkeit ist eingeführt. Die Notwendigkeit hierfür aufzuzeigen ist ja gerade der Zweck unserer Betrachtungen. In diesem Fall werden dann alle Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen illusorisch, weil wir dann nicht mehr wissen, was Gesetz und was Zufall ist und der Begriff Wahrscheinlichkeit nur auf zufällige Ereignisse Anwendung haben kann.14)

*Genauer: 1,6122 x 1057 und für 200 Nukleotide 9,21699 x 10116. Herr stud. rer. nat. (Mathematik/Physik) Klaus Wittlich aus Köln machte mich freundlicherweise auf diesen Punkt aufmerksam.

° Zur Problematik der Zwischenstufen vgl. z.B. die Diskussion bei Junker und Scherer 1988, pp. 190-208 (Entstehung und Geschichte der Lebewesen. 2. Aufl.; Gie§en)

Soweit die Wahrscheinlichkeitserwägungen zur zufälligen Entstehung eines einzigen Gens. Mehr als 6000 sind am Aufbau des Auges beteiligt. Das Koadaptationsproblem (dazu die Frage nach Regulator- und Promotorsequenzen) müsste dabei noch gesondert behandelt werden. Die Genzahl eines Organismus geht in die Zehn- bis Hunderttausende. Die genetische Variabilität beruht hauptsächlich auf der Neukombination der Gene (3. Mendel'sche Gesetz) und der Tatsache, dass bei manchen Genen geringe Abweichungen der Nukleotidsequenz biologisch noch einigermaßen äquivalent sind (vgl. p. 14) - es sei denn, dass eine lebenswichtige Schlüsselposition von der Veränderung betroffen ist (Beispiele: Enzym- und Proteinpathologien des Menschen wie Alcaptonurie, Phenylketonurie, Sichelzellanämie* u.a.). Wie die letzteren Beispiele zeigen, sind die Abweichungsmöglichkeiten begrenzt. R. Dickerson et al. haben die Tatsache, dass enzymatisch entscheidende Faltstrukturen, die im Sinne des 'Alles-oder-Nichts-Gesetzes' von der genauen Sequenz bestimmter Teile der Aminosäurekette abhängen und bei ganz unterschiedlichen (sowohl "primitiven" als auch hochdifferenzierten) Organismen völlig identisch sind, erst kürzlich am Beispiel des Cytochroms C erneut veranschaulichen können. Die Verschiedenheiten der Aminosäuresequenz gleicher Enzyme bei verschiedenen Organismen beschränken sich auf enzymatisch unwesentliche Sequenzen des Proteins (New Scientist 69, 620, 1976). Unsere Evolutionisten haben aufgrund der Unterschiede versucht, Stammbäume aufzustellen. Sie haben jedoch dabei vergessen, dass die unterschiedlichen Sequenzen abgestimmt sind auf tausend andere entsprechend passende Sequenzen der 'übrigen' Eiweißkörper desselben Organismus. An den enzymatisch entscheidenden Stellen zumindest ist jede Punktmutation negativ. Die relativ geringen Abweichungsmöglichkeiten der aufeinander abgestimmten Sequenzen eines Organismus sind in der obigen Berechnung nach Heitler durch die Setzung einer sicher zu geringen Zahl der Nukleotide (100)**, die ihre spezifische Position unbedingt einnehmen müssen, voll berücksichtigt.

*Beim Hämoglobinmolekül des Menschen finden wir 574 Aminosäuren, deren Sequenz durch 1722 Nukleotide bestimmt wird (dazu Start- und Stoptripletts und Promotor- und Regulatorgene). Eine einzige Abweichung kann bereits homozygot letal sein.

**"Linsenaugen kommen vor bei Trachymedusen, Skyphomedusen, manchen Polychäten, bei Schnecken, Tintenfischen, manchen Muscheln, Käferschnecken u. den Kranioten." (Wurmbach 1970, p. 521)

Die 'Konvergenz' ist ein weiteres Problem für den Neodarwinismus:

Das Wunder der Entstehung bildsehender Linsenaugen, denen man unsere Photoapparate nachkonstruierte, hat sich in sieben Stammesgeschichten unabhängig voneinander begeben, ebenso für die bildsehenden Mosaikaugen in fünf Tiergruppen. Immer ist es dieselbe Stufenleiter der Sehleistungen, aber jedesmal anders verwirklicht. Weder hat z.B. der Tintenfisch sein Auge von dem räuberischen Ringelwurm Alciopa, dem besten Bildseher seiner Klasse, noch hat das erste Wirbeltier dem Tintenfisch sein Patent gestohlen. Jeder ist für sich "darauf gekommen", zwölf getrennte Wege haben zum Bildsehen geführt.

So der bekannte Verhaltensforscher O. Köhler 1968, p. 134.15)

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich solche komplizierten Systeme, in denen oft Hunderte von genauestens aufeinander abgestimmten Strukturen anatomischer und physiologischer Art zusammenwirken, allein als optische Instrumente letztlich zwölfmal unabhängig voneinander gebildet haben, wenn dies nach den von Remane/Storch/Welsch, Bleuler, Siegmund, Dürken und Heitler zitierten Überlegungen auch nur ein einziges Mal derart unwahrscheinlich ist?!

Man kann wohl ohne Übertreibung folgendes feststellen: Die Wahrscheinlichkeit gemäß richtungslosen Kleinmutationen ist so gering, dass man auf jedem anderen Gebiete des Lebens bei einer solch unwahrscheinlichen Sachlage keinen weiteren Gedanken an die Möglichkeit eines positiven Ergebnisses mehr verlieren würde.

Dass der Neodarwinismus das dennoch macht und darüber hinaus noch seine Theorie als nicht mehr ernsthaft zu bezweifelndes positives Ergebnis naturwissenschaftlicher Forschung hinstellt, beweist jedem klar denkenden Menschen, dass es sich hier nicht mehr um Naturwissenschaft, sondern um "materialistische Religion" unter dem Deckmantel der Wissenschaft handelt: Die Gesetzmäßigkeiten der Materie als "Gott" können alles - und sei die Wahrscheinlichkeit auch noch so gering!


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